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Hotelgeschichten

Altmorschener Preisniveau

By 13. Mai 2013No Comments

Von unserer ersten mehrtägigen Radtour 1988 von Höxter bis Bad Hersfeld blieben uns vor allem die gastronomischen Begegnungen in Erinnerung. Ohne Handy, ohne Kreditkarte, ohne Navi, ohne viel Vorplanung gaben wir uns dem Schicksal hin. Die DDR existierte nebenbei auch noch, und war gar nicht weit entfernt.

Wir wurden von Ulkers mit dem Auto bis Höxter gebracht und starteten am Himmelfahrtstag bei sonnigem Wetter mit reichlich Gegenwind Richtung Hannoversch Münden, dem Etappenziel. Als touristische Eindrücke mögen kurze Stops in Kloster Herstelle (welches Karl der Große nach seinem Geburtsort Herstal in Belgien benannte) und in Kloster Bursfelde gelten, wo wir in das Pfingst-Treffen der Universität Göttingen gerieten, ohne zu wissen, was es mit Bursfelde Großartiges auf sich hatte. Nach ungefähr 70 km liefen wir deutlich ermattet in Hannoversch Münden ein, welches einen zutiefst mitteldeutschen Eindruck auf uns machte, vor allem das Rathaus und die St-Blasius-Kirche mit ihrem riesigen Dach. Ein Hotel in der „pittoresken“ Altstadt war nicht zu finden. Nach ein paar vergeblichen Runden und Nachfragen peilten wir auf die Tafel bei der Tourist Information und fanden schließlich (weil wir zum Glück ein paar Groschen für die Telefonzelle zur Hand hatten) eine Pension außerhalb und einige Höhenmeter oberhalb. Nach dem Duschen tigerten wir wieder runter, um in jenem Format von Restaurant zu Abend zu essen, das seinerzeit typisch für die kleinstädtische deutsche Restaurantszene war : Der Schmuddelgrieche. Vor allem das Bier kam gut und preiswert war es zudem.

Am nächsten Tag radelten wir weiter nach Kassel, wo wir in Bahnhofsnähe inmitten stilreinen 1950er-Jahre-Ambientes in einem Café auf das lokale Angebot „frischgepresster Orangensaft“ eingingen, ein Anfall von damals noch nicht bewusst gelebtem „Why-not-ismus“. Der Kneiper hatte ebenfalls nicht damit gerechnet, mochte aber auch nicht bedauernd ablehnen, und lief eben los, Orangen zu besorgen. Solch einen Fall von gastronomischer Spontanität haben wir nur noch ein weiteres Mal erlebt, 2004 in Emmerich, wo man eigens für uns von Nebenan Croissants besorgte. Nach einem Besuch des außerhalb des Documenta-Rummels gähnend langweiligen und damals sehr runtergekommenen Fridericianum-Museums hatten wir reichlich Zeit vertrödelt und mussten die weitere Tour bis zum Etappenziel Rotenburg an der Fulda etwas mit der Bahn abkürzen. Es war unverhofft unsere letzte reguläre Linienfahrt mit dem roten Schienenbus VT98 bis nach Melsungen. Als erste Amtshandlung dort erledigten wir das Abtelefonieren einer vorbereiteten Hotelliste (aus Touristik-Prospekten) entlang der weiteren Route mit Hilfe der gehorteten 10-Pfennig-Münzen von einer Telefonzelle, was aber nichts nützte, weil alle angeblich ausgebucht waren oder gar nicht abnahmen. Also die Abenteuer-Variante : man wusste schlichtweg nicht wo man die Nacht verbringt, und war beunruhigt und zugleich zuversichtlich, dass es letztendlich klappt.

Ein Bauer am Wegesrand gab den entscheidenden Tipp: Gasthof Semmler in Altmorschen, abseits vom Fluss etwas bergauf gelegen. Wir wurden von der Wirtin akzeptiert und bezogen das Zimmer, selbstverständlich ohne Dusche/WC. Zu Essen bekam man in Altmorschen natürlich nichts, und weil wir nicht mehr radeln mochten, reisten wir mit der Bahn nach Rotenburg, fraßen eine Pizza und kehrten im Abendrot zurück. Am nächsten Morgen wurden wir geweckt durch Autos auf der Straße, die mit laufendem Motor vor dem Gasthof parkten : die Dorfjugend mit einen klassischen Ascona und einem klassischen Manta.

Beim Ausschecken hielten wir der Wirtin einen 50-Mark-Schein hin, weil wir an der Zimmertür gelesen hatten: Übernachtungpreis 35,00 DM. Die Wirtin baute sich überheblich vor uns auf: „Nee, das darf ja wohl nicht wahr sein. Haben Sie wirklich geglaubt, das wäre der Zimmerpreis ? Pro Person natürlich !“. Doch, hatten wir geglaubt. Eine Internet-Überprüfung 2013 ergab einen überraschenden Tarif von 40,00 €. Das nennt man preisstabil!

Beschämt und kleinlaut radelten wir weiter, um nochmals eine Runde in Rotenburg zu drehen und inmitten von Kurgästen einen Kaffee zu trinken. Entlang der 4-spurigen Bahn-Magistrale, die eine der beiden wichtigen Nord-Süd-Bahnverbindungen der alten Bundesrepublik darstellte und uns schon deshalb elektrisierte, gelangten wir nach Bad Hersfeld. Stiftsruine, Samstag Nachmittag, ziemliche Ödnis. In einer Gartenkneipe an der Fulda saß am Nebentisch der Kabarettist Gerhard Polt, mit Goldkettchen und nacktem Oberkörper. Die Bahn brachte uns zurück nach Paderborn.

Im Nachhinein wäre zu bemerken, dass es von den entscheidenden Momenten und Eindrücken keine Fotos gibt. Es ist völlig unverständlich, nach welchen Maßstäben wir damals die Fotowürdigkeit beurteilten. Vielleicht Sparsamkeit. Wir steckten maximal 2 Filme ein und mussten damit über die Runden kommen.

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