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Freitag Abend blätterte die Mutter im sogenannten HEFT und las einen Veranstaltungstipp: Klavierkonzert mit Olga Scheps auf  dem Rittergut. Welches Rittergut ? Meinbrexen an der Weser, bekannt für seine Erbeer-Plantagen ? Nein, es handelt sich um Störmede, ein Dörfchen von hier aus gesehen hinter Geseke. Rittergüter sind wohl im Kommen. Kartenvorverkauf war nur per Überweisung auf ein Sparkassenkonto mit angegebener IBAN-Nummer möglich, bei versprochener Karten-Hinterlegung an der Abendkasse. Gute Idee, aber nix für Spontan-Buchungen am Wochenende, wenn normale Landsparkassen zu haben.

Wir hatten Olga Scheps vor ein paar Monaten in einem WDR-Porträt gesehen, wo sie einen Einblick in ihr bewegtes Leben und sich als aufgeschlossene moderne Konzertpianistin gab, mit unkonventionellen Straßenkonzerten in der Kölner Fußgängerzone oder im Hamburger Szene-Clublokal RESONANZRAUM an der Feldstraße, um dort die Rocker zur Klassik zu bekehren. In beeindruckender Erinnerung geblieben war uns folgender Dialog: Olga: „Ist der Flügel gestimmt?“. „Ja, gestern erst.“ Olga: „Was heißt denn hier gestern. Der muss vor dem Konzert gestimmt werden!“ „Holla“ dachten wir. Auszug aus der offiziellen Künstlerinnen-Vita: … ist Exklusivkünstlerin von Sony Classical und spielte vor Kurzem ihr bereits siebtes Album ein. Dieses Solo-Album mit Werken von Erik Satie erschien im Mai 2016 und erreichte in Deutschland die Nr. 1 der offiziellen Klassik Charts. Für ihr Album „Chopin“ erhielt Olga Scheps einen ECHO Klassik in der Kategorie „Newcomerin des Jahres“. Alle anderen Alben von Olga erreichten die Top Ten …“ 

Trotz ohne Kartenreservierung fuhren wir am Samtagnachmittag, 3. März 2018 bis jenseits von Geseke, für uns eine mutige Tat. Das Rittergut ist offenbar die Standard-Eventlocation des Vereins K & K (Kultur und Kulinarisches). Auf deren Homepage heißt es: Der Verein der Kulturfreunde „K&K“ hat es sich zum Ziel gesetzt, das Kulturangebot in der Region durch ein anspruchsvolles Programm mit den Schwerpunkten Klassik und Literatur zu bereichern. Das stimmungsvolle Ambiente historischer Geseker Gebäude […] verleiht den Konzerten […] eine besondere Atmosphäre, und mit einem Glas Wein in der Hand […] bla bla bla.“

Nun, das Gebäudeensemble ist ein mit sehr viel Geld vom Investor durchrenovierter (ehemaliger?) Adelssitz, der in seiner Ausprägung, wie sie sich uns darbot, eher in den Außenbezirken einer großstädtischen Kulturlandschaft zu vermuten gewesen wäre, wie z.B. zwischen Berlin und Potsdam. Seine Funktion ist heute Hotel (noch nicht eröffnet), Restaurant und Tagungsort mit repräsentativem Saal.

Um eine Chance zu haben, trafen wir eine Stunde vor Beginn ein und beknieten die Abendkassen-Lady mit unserem ernst gemeinten Wunsch. Eigentlich sei ausverkauft, hieß es, aber wenn alle drin sind, könne sie auf nicht eingelöste Tickets zurückgreifen. Zwischendurch stand sie mehrmals auf und informierte uns über die tendenzielle Entwicklung, die wohl zu unseren Gunsten verlief. Es würde sehr voll werden. Ob wir unter diesen Umständen überhaupt noch wollten. Aber so kurz vor dem Ziel ließen wir uns nicht beirren und genossen die Wartezeit im gemütlich warmen Foyer mit Beobachten des eintrudelnden Publikums und Ausblicken in den verschneiten Park. Nach und nach kamen doch recht viele. Überwiegend Senioren, aufgetakelte Ommas in Pelzjacken, Glatzenträger, nach Russen-Geschmack als Zwerg-Ballerinas ausstaffierte kleine Mädchen, ordentlich frisierte blonde Jungs, westfälischer Kleinst-Adel, der noch am Nachmittag mit der Mercedes M-Klasse erfolglos von der Wildschwein-Jagd zurückgekehrt war. Wenige bis gar keine, von denen man annehmen konnte, dass sie etwas von Musik verstanden. Vergeblich hielten wir Ausschau nach dem lokal eine gewichtige Kulturfigur darstellenden Geseker Grandseigneur namens Heribert Knapp, der an mehreren Stellen auf Zetteln erwähnt wurde und den wir von früher kennen. Im Saal war die Bestuhlung um das niedrige Podest mit dem Klavier im Carrée angeordnet, ähnlich wie im Londoner House of Commons.

Irgendwann war es soweit, ein vornehmer weißhaarig-zurückgekämmter Herr mit hanseatischer Clubjacke, männlein-dünn, wahrscheinlich der erste Vereinsfunktionär, der bereits die ganze Zeit eifrig-geschäftig herumgewieselt war, sprach die einführenden Worte, mit welch großem Stolz es dem Verein gelungen ist, diese bedeutende Künstlerin auf der Durchreise zwischen Wien und Berlin in Geseke abgefangen zu haben, wo sie usw. etc. Der vornehme Herr hätte vom Typ her der jüngere Bruder von Generalkonsul Manfred O. Schröder sein können. Dann rauschte die Pianistin rein im roten festlichen Abendkleid, verbeugte sich und fing sofort an zu klimpern. Mit Jeans und T-Shirt statt des albernen Kleides hätte sie authentischer gewirkt. Sorry, sowas darf man nicht schreiben. Noch kurz zuvor hatte sich der Klavierstimmer des Pianohauses Micke aus Neu-Beckum an dem von dort zur Verfügung gestellten Steinway, vermutlich Typ A, M, oder S, jedenfalls nicht D oder B, abgemüht.

Als erstes enttäuschte der Klang. Das Ding dröhnte überwiegend in runden, grollenden tiefen Mitten und von den erwarteten glasklaren, transparenten, metallisch-drahtigen Höhen war nichts zu merken. Ja, zugegeben, Scheps konnte spielen, immerhin fast 2 Stunden auswendig Chopin, Schubert, Satie und Tschaikowski, kein Beethoven, kein Rachmaninov, kein Debussy – selten – sogar leise und gefühlvoll, aber man merkte, wie sie es liebte, auf das Ding einzudreschen. Es wunderte uns, dass nicht zwischendurch der Klavierstimmer antreten musste, um die nach zwanzig Minuten völlig ausgeleierten Bass-Saiten wieder stramm zu ziehen. Endlose Arpeggien wechselten sich ab mit bösen Fortissimen. Zum Schluss wurde einem leider auch nicht diese unsägliche Nussknacker-Suite (Ta-ta-dada-da, tadda-da da-ta-ta) erspart, man konnte auch nicht unauffällig verschwinden. Wir hätten uns das alles gerne anders vorgestellt: Ein paar nett geschwafelte Worte zwischendurch, warum gerade dies oder das (wie mal bei Till Brönner), weniger Zirkus-Kunststückchen, gefühlvolle Videos im Hintergrund (wie mal bei Poppy Ackroyd), ein paar Synth-Klänge mit viel sympathetischer Resonanz und atmosphärischen Schwingungen (wie mal bei Nils Petter Molvær). Immerhin machte sie während des Schluss-Applauses zum ersten Mal den Mund auf und bat um Zustimmung, dass sie mit ihrem Smartphone ein kurzes Rundum-Selfie filmen wollte. Gerne. So konnte sie sich auf der nächtlichen Weiterreise nach Berlin anschauen, wir wir in der letzten Reihe saßen und unsere Gähn- und Husten-Attacken erstickten.

Da wir noch ein zweites Kulturevent an diesem Abend planten (ein alter Wilsberg-Krimi im ZDF), mussten wir notgedrungen auf Teil Zwei des Rittergut-Programms Störmede verzichten: Das Dinner. Uns entging in gehobemen Ambiente, im Kreise illustrer Herrschaften: Geflügelcrêmesuppe mit eigener Einlage, Schweinefiletspitzen in Cognac-Pfefferrahm, Mandelbrokkoli und Kartoffelkrapfen, Vanillecrême mit Pflaumenröster und Crumble inkl. Wein für 32,00 €.