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Kastanigen**

** Zunächst: Sorry, dass ich bei Diphtongen zwischen den benachbarten Vokalen ein „g“ einfüge – das lässt sich einfach breitbeiniger und substanzieller aussprechen.

Es gehört zu den Merkmalen der Kindheit, dass man sie später nicht mehr verändern kann. Man kann aber Schwerpunkte bei den Erinnerungen setzen – manche Dinge betonen und wiederholen, andere ausblenden. Ein Quell unerschöpflicher Kindheitserinnerungsarbeit ist für mich die Tatsache, dass ich im Amt groß geworden bin. Das Amt war der Sitz der gemeinsamen Verwaltung der 5 selbständigen Gemeinden Schloß Neuhaus, Elsen, Sande, Hövelhof, Stukenbrock, an der Bielefelder Straße 1, heute Polizeistation, wo Vatter Hausmeister war und ich von 1958 bis 1978 in der Hausmeisterwohnung residierte. Ich identifizierte mich zu 100% mit dem Amt und lebte im Glauben, dass wir diese Behörde als Familienunternehmen bewirtschafteten. Wo war ich stehen geblieben ? Ach ja, Kastanien.

Erwin, du zeigst Verwendungsmöglichkeiten auf, von denen das „Basteln“ eine der natürlichsten zu sein scheint. Leider nicht meins. Ich bin mein Leben lang dem Basteln ausgewichen, z.B. bei meiner elektrischen Märklin Eisenbahn. Vatter Elektrik, Mutter Basteln, ich gar nix, noch nicht mal Spielen. Daraus kannst du ableiten, welche Anziehungskraft Kastanien ausübten.

Dennoch hatte ich beeindruckende Kastanienimpressionen: Alljährlich stieg die Firma Benteler (Stahlrohre, Automotive) in Vollstreckung ihrer Geld-adeligen gleichnamigen Besitzerfamilie (besser: Familige) in die Niederungen der Bevölkerung hinab (in Schloß Neuhaus gab es keine Bürger, nur Bevölkerung), und kam die goldene Herbsteszeit, in der nordwestlich von Berlin die Birnen leuchteten weit und breit, nahm sie gesammelte Kastanien entgegen. Es hieß, dass Angehörige der Familie Benteler eine breit aufgestellte Jagd betrieben, und um Wildschweine, Hasen, Fasane, Elche, Rehe und sogenanntes Wild davon abzuhalten zu verhungern, bevor man es lustigerweise erschoss, wurden die Tiere mit Kastanien gefüttert. Ein Win-win-Situation. Benteler kam bequem und günstig an das Futter, und die Neuhäuser*innen sahen die Chance, schlagartig alle Geldsorgen loszuwerden. Ob Kastanien oder Eicheln den höheren Kurs erzielten, weiß ich nicht mehr. Beide Produkte waren gelistet. Fasziniert schaute ich am Stichtag von unserem Amtswohnzimmer zu, wie die Menschen in langen Schlangen vor dem Werkstor zwischen Pader und Lippe standen, um ihre Kastanien loszuwerden. Die Profis hatten gefüllte Handkarren dabei, viele aber nur ein Damenfahrrad, auf dem sie schiebend im Durchstieg einen vollen Sack transportierten, wie das seinerzeit auch mit Briketts und Kartoffeln üblich war. Ist es arrogant und versnobt, lieber Erwin, wenn ich damit angebe, dass wir nicht zu den Kastaniensammlern gehörten ?

Dir zuliebe habe ich gestern am Paderwall einen Fahrradkorb voll Kastanien gesammelt. Man wird sofort süchtig. Wie sie einen anglänzen. Wie verführerisch sie aus den erst halb geöffneten Stachelpanzern lugen. Da, noch eine, und da und da. Boah ! Was mache ich jetzt damit ?