Köln. Die viertgrößte Stadt in Deutschland, die größte in NRW. Dass Köln ein großartiges Touristenziel ist, merkt man spätestens, wenn man dort ist. Der Dreiklang von Antike, WDR und Katholizismus fasziniert alle, obwohl sich „alle“ reichlich Mühe geben, den WDR zu ignorieren, die Antike nicht wahrzunehmen und den Katholizismus zu negieren. Gerne, aber gedankenlos wird die Aussage tradiert „Köln ist hässlich“. Was für ein Unsinn.
Ich teile Köln-Touristen in drei Kategorien ein:
- Normale Touristen. Sie reisen mit dem Bus oder mit dem Kreuzfahrt-Schiff an. Ziele sind das Schokoladenmuseum sowie der Dom (Betreten der Domplatte und Blick nach oben, um die Höhe festzustellen, reicht). By the way wagt man sich noch ein paar Meter auf der Hohenzollern-Brücke vor und staunt über die Liebesschlösser am Drahtzaun. Ein Kölsch auf den Terrassen der Altstadt-Kneipen am Rheinufer rundet das Erlebnis ab. Nun kennt man Köln.
- Event-Touristen haben Monate zuvor in Köln ein Event gebucht oder Karten geschenkt bekommen, z.B. für ein Konzert in der Lanxess-Arena (früher Köln-Arena) oder ein Musical-Erlebnis im Dome neben dem Dom. Schokoladenmuseum und Dom rangieren dann als untergeordnete Ziele, die man vor der Ab- oder Weiterreise noch mitnimmt.
- Experten-Touristen wagen sich über die angesprochene Meile zwischen Dom und Schokoladenmuseum hinaus und besuchen ein bzw. mehrere Museen oder haben noch weiter differenzierte Ziele. Vielleicht shoppen sie bzw. begeben sich in die Shopping-Zonen, ohne etwas zu kaufen.
Nun zu uns: Wir entkommen leider nicht der Klassifizierung „Touristen“, bleiben aber den unter 1 bis 3 genannten Orten fern, und erkunden ausgewählte Stadtteile, z.B. Gewerbegebiete, Bahn-Brachen, Autobahn-Böschungen oder andere öde Gegenden. Touristen wie uns bezeichnet man als Schräte.
Köln-Reise Do. 27. bis Sa. 29. April 2023
Seit langem besteht der Wunsch nach einer intensiven Köln-Zeit, z.B. eine Woche airbnb-Urlaub in der Stadt. Da wir von November 2022 bis April 2023 nun 4 mal in Köln waren mit 4 Übernachtungen, ist der große Köln-Hunger erstmal gestillt und die zusammenhängende Woche vorerst aufgeschoben.
Schrat und Schrätin nahmen für den April-Aufenthalt natürlich die Fahrräder mit. Es war Urlaub von Anfang an. In Höhe der A1-Raststätte Lichtendorf-Nord kurz vor Schwerte erinnerten wir uns wie immer an die Autopanne 1973 und drehten dort ein kurzes Erklär-Video, welches hier widergegeben sein soll:
Der Kurzurlaub der Überraschungen
Köln hielt für uns diesmal einige Überraschungen bereit. Unser erster Besuch hier seit Menschengedenken, wo wir kein Museum von innen gesehen haben. Im März waren wir schon mal hier, aber es war so langweilig, dass wir nach einer Stunde nach Bonn weiterreisten. Am 27. April erreichten wir das vorläufige Ziel „Parkhaus Mediapark“ um kurz vor Zwölf.
Überraschung 1
Das Parkhaus war kein Parkhaus, sondern eine unterirdische Parklandschaft mit mehreren separaten Park-„häusern“ und Straßennetz und Autobahnanschluss. Kein Zettel-Ziehen, sondern Kennzeichen-Scan und personalisierte Begrüßung auf einem Monitor. Nach wenigen Sekunden hatten wir die Orientierung verloren und mussten beim Aufstieg in die Oberwelt für den Rückweg alle Wege, Türen und Nummern fotografisch dokumentieren. Wegen der Entfernung zum Motel One bekamen wir unser umfangreiches Gepäck nicht auf einmal transportiert und liefen mehrmals. Detail: Dabei verloren wir aus der Jackentasche eine Banane, die wir erst am Tag der Abreise an exakt der gleichen Stelle wiederfanden. Sie hatte sich inzwischen zum Kunstwerk entwickelt.
Überraschung 2
Das innerstädtische Radwegenetz. Was wir erlebt haben, war tatsächlich ein Netz von Radwegen, und kein Flickwerk wie in Paderborn. Breite Wege, die vormals den Autostraßen gehörten, waren abgeteilt und ließen uns zügig vorankommen. Zügig minus Wartezeiten vor Ampeln alle 200 Meter. Der Radverkehr war enorm. Rumklüngeln, spontane Stops und Nebeneinandfahren waren nicht drin.
Keine Überraschung
Fest eingeplant war ein Kaffee bei „Schmitz“ Ecke Hansaring / Lübecker Straße. Bei Schmitz waren „wir“ – Ralf Schalk und ich – in den 1980er Jahren nach erfolgreichen Plattenkäufen gegenüber bei Saturn-Hansa, dem damals größten Plattenladen in Deutschland. Heute wurde uns ein Katzentisch zugewiesen und die Bedienung kam nicht. Es war sehr laut. Wir gingen wieder. Der Mythos „Schmitz“ war geplatzt. Aufgehoben und ideal ausgemalt für diese Reise hatten wir uns den Kauf eines neuen Sattels. Im Bereich Hansaring / Mediapark waren zahlreiche Fahrradgeschäfte, von denen wir uns professionelle Beratung und ausgiebiges Fachsimpeln versprochen hatten. Leider gab es nirgendwo ein geeignetes Exemplar.
Überraschung 3
Die Fahrt über die Venloer Straße durch Köln Ehrenfeld hatten wir uns nicht so vielseitig und so lebendig vorgestellt. Vom Friesenplatz bis zum Westfriedhof das pralle Leben. Kurz vor der zweiten Bahnunterführung stand auf einem größeren Hofgelände sogar ein echter Leuchtturm wie an der Küste. Relikt eines Leuchtturm-Ausrüsters aus dem 19. Jahhundert.
Überraschung 4
Boesner am Girlitzweg war unser Ziel. Wir waren nicht mehr sicher, ob wir den Laden zu regulären Öffnungszeiten noch erreichen würden, so weit draußen liegt dieser gigantische Großhandel für Kunstbedarf. Wir trafen um 17 Uhr ein und waren total geflasht – das Angebot war erschlagend – sie hatten einfach alles. Wir kauften 5 DIN-A6 Hefte für künftige künstlerische Geistesblitze und machten uns auf den Rückweg, selbstverständlich auf anderer Strecke als hin, z.B. quer über den schönen Friedhof Melaten. Später am Rhein angelangt, wurde es kühl und wir kehrten abends im Deutzer Brauhaus ein, bitte nicht weitersagen.
An der unglaublich langen immer geradeaus führenden wunderschönen Aachener Straße fanden wir einen Antiquitätenladen mit großem Konvolut an (teilweise üppig mit Gold aufgelegten) Sammeltassen.
Überraschung 5
Köln Lövenich. Den Stadtteil weit im Westen bekamen eigentlich nur zufällig auf dem Rückweg von unserem regulären Ziel „Abtei Brauweiler“ mit. Auf angenehme Art halb-urban, bürgerlich, freundlich und in idyllisch-ländlicher Umgebung mit einer Vorahnung von Vor-Eifel. Brauweiler war hingegen keine Überraschung. Die Abtei in Händen des LVR war eingerüstet und nicht einladend. In der Kirche sprachen wir mit der Aufsicht über die dortige Orgellandschaft. Bei der Brauweiler‘ Merzenich-Filiale legten wir eine ausgedehnte, entspannte Rast in modern-gemütlicher Atmosphäre ein bei Kaffee, Croissant-aux-Amandes und Käsebrötchen.
Überraschung 6
In der im spätbrutalistischen Stil errichteten Hochschule für Musik und Tanz im Kunibert-Viertel hatten wir überraschend Gelegenheit, einer spontanen Einladung folgend, dem Rehearsal einer in Köln lebenden ausgewiesenen Robert Schumann-Spezialistin beizuwohnen. Anetta – so ihr Künstlerinnenname – hatte sich für eine atemberaubende Interpretation des Stücks „Träumerei“ – der Nr. 7 aus einem 13-teiligen Klavierzyklus – entschieden. Zum Dank luden wir Anetta auf einen Chai Latte ein – bei Schmitz ! Mutig, mutig.
Überraschung 7
Die Flora ist ein ruhiger städtischer Botanischer Garten jenseits vom Zoo, mit alten Bäumen, seltenen Pflanzen, Teichen und einem wuchtigen Saalbau im Belle-Epoque-Stil in der Mitte, der dem Event-Geschäft vorbehalten bleibt. Nach jahrelangem Dornröschenschlaf hat man angefangen, neue große Gewächshäuser zu bauen (noch gesperrt) und die Gastronomie im bescheidenen Umfang wiederzubeleben. Bei Eiseskälte konnte man (nur) auf der Terrasse sitzen und bekam auf Anfrage eine Fleece-Decke gereicht. Wir aßen Herzhaftes und tranken ein Alkoholfreies.
Weitere Nicht-Überrraschungen
- Ein zu Weihnachten erhaltener Gutschein wollte abgefressen werden. Und zwar bei Riphahn hinter St. Aposteln. Riphahn ist (falls noch nicht bekannt) nach dem gleichnamigen Kölner Star-Architekten der 1930er bis -60er Jahre benannt, und sieht auch so aus. Wiederaufbau-Architektur reinsten Fahrwassers, zweigeschossig mit einer elegant frei geschwungenen Treppe im Zentrum und „goldenen“ Alu-Fensterrippen. Wir nahmen draußen am Streetlife teil und bestellten Schönes von der aktuellen Spargelkarte.
- In Köln ist 1945 viel kaputt gegangen und ebenso viel wurde schnell wieder aufgebaut, natürlich im Stil der Zeit. In den Stadtgebieten rechts und links der „Ringe“ sieht man diese typischen Blöcke mit in der Fassade hervortretenden Betonrippen, rasterartigem Fensterbild, Staffelgeschoss und weit überstehendem Flachdach. Solche Häuser haben oft noch die originalen frei geschwungenen oder um einen Winkel geführten Treppen mit sinuskurvigem Geländer und goldenem Handlauf. Unser Ehrgeiz war es, solche „Operettentreppen“ zu entdecken. Wir fanden welche, aber nicht allzu viele.
- Vor der Kirche St Severin in der Südstadt, die wir bisher noch nie besichtigt hatten, gab es einen Verkaufsmarkt für gebrauchte Fahrräder. Die Kirche hat Ursprünge in der Spätantike, aber ihr heutiges Erscheinungsbild ist weder innen noch außen besonders spektakulär.
- Zum wiederholten mal kehrten wir beim „Funkhaus“ ein – gleichbleibend schön und freundlich.
- Im südlichsten der drei Kranhäuser gab es, von netter Bedienung dargereicht, Café/Croissant. Zum Aufwärmen – während draußen das gefürchtete „unter 10° | grau | windig“-Wetter zum Harren verleitete.
- All das erledigten wir mit dem Fahrrad. In den drei Tagen ging es unzählige Male die Ringe entlang, mehrmals über den Rhein, runter bis kurz vor Rodenkirchen. Hätte wärmer sein können.