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Unseren diesjährigen Sommerurlaub verbringen wir auf eine ungewöhnliche Weise an einem besonderen Ort. Wie zwei Verbannte leben wir eine Woche auf Harrier Sand, einer kleinen Insel von 5 ha Fläche im Mündungsbereich der Themse, mit nicht mehr ausgestattet als einem Anlegesteg, ein paar Büschen und etwas Geröll. Auf einer Düne steht ein einfacher kleiner Flachdach-Bau in der Größe eines Gartenschuppens. Er diente bis in die 1990er Jahre als hydrologische Mess- und Beobachtungsstation des »UK Centre für Ecology & Hydrology«. Bis dahin war die Station wochenweise bewohnt. Nach langem Verfall und Leerstand wird sie seit Kurzem als Ferienunterkunft vermietet an Leute, denen mangelnder Komfort und ein kontakt- und ereignisloser Tagesablauf nichts ausmachen. Aus der Zeit der Errichtung stammt noch der Stromanschluss. Gas wird einmal pro Saison bevorratet, und für Frischwasser wöchentlich ein Tank von ca. 180 Litern ausgetauscht. Damit kann man auskommen. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass zuhause wöchentlich ca. 600 Liter pro Person durchgehen. Mit äußerst wenig Gepäck sind wir mit dem Fahrrad angereist. Das heißt: Bis Hoek van Holland ging es mit dem Auto. Mit der Stena Line Ferry nach Harwich, von dort per Bike nach Southend on Sea, anschließend mit einer Art Bootstaxi nach Harrier Sand.

Was machen wir hier ? Wir beobachten die internationale Schifffahrt auf dem Weg nach London, die Wetterentwickung, die Gezeiten und den Himmel inklusive Wolken, Mond und Sterne. Es ist faszinierend eintönig. Die großen Schiffe steuern den »DP World London Gateway Port« an, der schräg gegenüber liegt. Die ganze Gegend von London bis zur Küste ist eine einzige Industrie- und Logistik-Landschaft. Nichts für Romantiker, eher für uns, für die alles eckig und dreckig sein muss.

Falls Zeit ist – und Zeit ist knapp – sitzen wir am Rechner, recherchieren alles mögliche, schreiben und lesen. Z.B. den Roman »Die Sheerness Falle« (Original Titel: The Sheerness Impact) von John le Carré. Der ältere Thriller spielt hier ganz in der Nähe: In einem der schaurig-unheimlichen Maunsell Forts (u.a. Red Sands, Shivering Sands, Knock John und Roughs Tower) geriet 1943 der Doppelagent Georg Haff alias Shawn Dwight in eine ausweglose Falle. Als Deutscher sollte er den Bau genau dieser Forts verhindern, als Brite sollte er die Deutschen bei der Verminung der britischen Gewässer sabotieren. Beides gelang ihm nicht, wie wir wissen, und in den weit draußen vor der Themse-Mündung zwischen den Grafschaften Kent und Essex liegenden und verfallenden Türmen wurde er von beiden Kriegsparteien gejagt. Eine verbuchte das als Sieg. An manchen Tagen können wir die Forts vom Südufer aus sehen. Besser gesagt, sie flimmern als Fata Morgana im Dunst. 

Nach dieser Woche werden wir wieder mit dem Boot abgeholt. Dann wollen wir noch zwei Tage entspanntes Kontrastprogramm in dem gemütlichen und von nicht allzuviel billigem Kitsch geschädigten alten Badeort Herne Bay dranhängen. 

(Die 2 Fotos der Maunsell Forts stammen nicht von uns, sondern aus einem YouTube Video).