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Eines  „vorweg“ : das Titelbild zeigt weder den Øresund noch Espergæde, sondern die Store Bælt Bro.

Der Strandvej an der Dänischen Riviera

Freitag 2. August 2019

Weil Espergæde am Øresund doch arg weit weg liegt, hatten wir beschlossen, eine Zwischenübernachtung einzulegen, vielleicht zwischen Lübeck und Fehmarn. Die Hotelpreise auf der Strecke lagen zwischen 150 € für die Kategorie „Kaschemme“ und 450 € für normale Hotels. Also strichen wir auch die Fähre Puttgarden-Rødby aus dem Reiseprogramm und fanden etwas billigeres, was allerdings mit einem Umweg verbunden war. Ein preiswertes Hotel am Nordostsee-Kanal (international „Kiel-Kanal“ genannt) in Rendsburg, und am nächsten Tag weiter über Flensburg, Kolding, Odense, Store Bælt, E20 / E47. Abfahrt 9.30 in PB. Hamburg 15.00 Uhr. Noch 1994 hatten wir die Strecke in 2.25 geschafft. Ankunft in Rendsburg: 17.00 Uhr. Verspätungsgrund: a) Dauerstau auf der A7 im gesamten Gebiet von Hamburg und Wolkenbrüche vom Abzweig A215 bis zum Hotel am NOK. Das beste an der Fahrt war wie zu erwarten das Schinkenbrötchen exakt bei Rinteln. Vom Hotel „Convent Garden“ direkt am Kanalufer hatten wir uns einiges versprochen. Z,B. phänomenalen Kanal-Blick mit Schiffe-Kucken, Frühstück auf der sonnenbeschienenen Terrasse direkt am Ufer. Aber nein. Der Zimmerblick ging zum Parkplatz. Das Restaurant hatte keine Außenterrasse, das Frühstück fand dort auch gar nicht statt, und das Ambiente war eine Mischung aus Verstaubt, Steif und Plüschig. Mit dem Regenschirm machten wir einen Erkundungsgang durch die Umgebung und fanden einen 150m langen Tunnel in 21 Meter Tiefe unter dem Kanal zum Südufer, den man in den 1960er Jahren für Fußgänger und Radfahrer angelegt hatte. Davon wussten wir bisher nichts. die Rolltreppe war gefühlt so lang und tief wie diejenige rauf zur Aussichtsplattform der Elbphilharmonie, aber nur gefühlt. Die Hamburger macht 37 Höhenmeter. Am Südufer fand sich ein nettes Campingplatz-Restaurant mit Außenterrasse, das sich zum Schiffe- und Leute-Kucken hervorragend eignete. Wir wählten Außenplätze unter gläsernen Markisen, hatten Ausblick auf den Kanal, den Radweg davor, die Speicher-Idylle am anderen Ufer und die Hochbrücke, auf der sogar Züge fuhren. Mithin erfüllte die Umgebung die Bedingungen für einen „magischen Punkt“, unsere höchste zu vergebende Qualitätsstufe für Locations. Der Fraß war eher durchschnittlich mit leichten Abzügen. Es sei dahingestellt, was wir auf dem Teller hatten – irgendwas zwischen versalzen und klitschig. Bereits bei der angebotenen Biermarke „Veltins“ hätten wir stutzig werden müssen. Da es nach dem Essen noch recht hell war und der Regen (leider) aufgehört hatte, nutzten wir die Umstände zu einer Erkundungs-Radtour durch Rendsburg. Um es kurz zu machen: Es gab nichts zu meckern, ja, wir waren regelrecht begeistert und dachten: hej, warum haben wir den Urlaub nicht in Rendsburg gebucht ? Alles passte: schönes Stadtbild mit vielen großen, aber nicht leblosen Plätzen, gelungener Erhaltungs- und Erneuerungszustand mit alter Bau-Substanz aus der dänischen Zeit, sowie moderne Architektur in Handel und Gewerbe*, Natur-Durchdringung mit viel Grün und Parks, Leben am Wasser (Eider) mit Binnenmaritimik, die Bahn mit dem Wahrzeichen Hochbrücke, die bereits erwähnten alten, weiterhin aktiv genutzten Getreidespeicher am Kanalhafen. (*neu gebaute Supermärkte, wie sie in Paderborn überhaupt nicht existieren. Paderborner Supermärkte sind: Baracken vom Typ Lidl/Aldi bzw. im Laufe der Jahrzehnte planlos erweiterte und zusammengeflickte gesichtslose Hallen mit zugerumpelten Vor- und Parkplätzen. ->REWE – löbliche Ausnahme: REWE an der Klöcknerstraße, eine revitalisierte Fabrikhalle. Wäre dort der Eingang rechts statt links, und wäre die Käse/Fleischtheke an der Längsseite statt an der rechten Schmalseite, wäre dieser REWE ein Supermarkt nach französischer Machart. Die dänische Machart kommt im nächsten Abschnitt vor, siehe 3. August.)

Samstag, 3. August 2019

Wir frühstückten mit angemessenem Zeit-Invest, wie es sich für eine private Hotel-Übernachtung gehört. Für die „Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, Lokalteil Rendsburg“ hatten wir nicht die nötige Ruhe, das Leute-Kucken erforderte konzentrierte Aufmerksamkeit. Erstaunlich, wieviele Gäste dieses Hotel an einem Samstag-Morgen hatte. Radtouristen, die den Nordostseekanal in zwei oder 3 Etappen bewältigen, oder Sparfüchse wie wir auf dem Weg nach Norden oder Süden. Der weitere Verlauf der Autobahn war durchweg sehr voll, wenn auch ohne schwere Stäue. Vor der, inkl. der kleinen Leuchtturm-Insel Sprogø, 17 km langen Store Bælt-Brücke machten wir eine kleine Brötchenpause. Von Kopenhagen bekommt man auf der Autobahn E47 nichts mit.

In Espergæde (Aussprache etwa: „Espergär“) erwarteten uns Claus und Jette, die uns das Haus zeigten und Gelegenheit zu etwas Small Talk boten. Themen: Was man im Urlaub hier so machen kann, wo sie selbst wohnen, Mobilitätsfragen und Gepflogenheiten bei Bezahlen von Waren und Dienstleistungen (wie kauft man Tickets am Automaten). Das Haus ist bestens ausgestattet und sehr nett, mit dänischer Hyggligkeit und nur drei Einschränkungen:

  1. kein Weitblick im (ansonsten sehr grünen) kleinen Garten
  2. wenig Platz für Mitgebrachtes, weil aller Schrankraum mit ihrem eigenen Kram vollgepackt ist. Ansonsten kein steriles Appartment, wie wir es z.B. in Kollmar oder Eckernförde hatten, sondern dänischer Lifestyle pur mit viel Individualität. Das es sich um eine echte Privatwohnung hält, stand und lag auch viel Privates rum – was uns aber nichts anging. Wir genossen viel Vertrauen und haben es hoffentlich nicht enttäuscht.
  3. Es fehlen Kruzifixe und Marien-Bildnisse in Andachtsgrotten.

Dunkel. Eng. Niedrig.

Unsere erste amtliche Handlung war das Einkaufen, nicht bei Super-Brugsen, sondern bei Meny. Leider kein toller Laden. Niedrig, dunkel, unübersichtlich – in Dänemark der übliche Standard. Famila in Rendsburg gefiel uns besser. Wir hatten uns vorgenommen, Klagen über das dänische Preisniveau auszuklammern und nichts umzurechnen. Faktor: Kronenbetrag durch 7,7 = Euro, alternativ: Kronenbetrag durch 100 mal 13.

Am Abend eine kleine Erkundungstour mit dem Fahrrad zwischen Humlebæk und Espergæde (also einmal „runter“ und einmal „rauf“) mit Zwischenstopps am Wasser.

Sonntag, 4. August 2019

Daheim geht das Liborifest dem Ende entgegen. 7 Uhr 13 starteten wir zum Einkauf von Backwaren in Humlebæk bei Brødsnedkeren.dk Dort räumten wir mit dem Mythos „Tebirke“ auf. Theoretisch das beste aller dänischen Brötchen, zusammengerollter Blätterteig mit Mohn oder Sesamperlen. Hier leider sehr klitschig mit einer süßen Schmiere in der Mitte. Zudem hatte niemand daran gedacht, von zuhause, spätestens von Rendsburg, Rübenkraut mitzubringen. Der erste Rübenkraut-lose Urlaub seit Jahrzehnten. Bitter. Wir müssen leider sofort wieder abreisen. Vorher machten wir am Nachmittag eine Radtour am Øresund-Ufer in südliche Richtung bis Skodsborg. Die Marina von Rungsted erschien uns für dänische Verhältnisse nahezu mondän. Dass Dänen ihren, falls zufällig vorhandenen, Reichtum niemals zur Schau stellen, wird in Dänemark-Ratgebern gerne immer wieder voneinander abgeschrieben und behauptet, aber dem ist wohl nicht so. Hier stehen dicke SUVs, BMWs, Audis und TESLAs. Später kamen wir zufällig am Karen-Blixen-Museet vorbei und warfen einen Blick aufs Gelände. Das Museum selbst war bereits geschlossen. Karen Blixen (1885–1962): Stammte aus der dänischen Oberschicht, geriet überwiegend an die falschen Kerle, machte im Leben einen harten Streifen mit, scheiterte als Farmerin in Kenia, kam mit ihrer Familie nicht klar und trug später, zurück in Dänemark, immerhin ihren Teil zur Weltliteratur bei. Geht doch. Ihre Kenia-Episode wurde 1985 als „Jenseits von Afrika“ mit Meryl Streep, Klaus Maria Brandauer und Robert Redford verfilmt (Film nie gesehen, wir sind leider keine Cineasten). Nach einer Erholungspause zuhause brachen wir erneut auf: diesmal mit dem Auto ins Sonntagabendlich-verschlafene Helsingør, wo erwartungsgemäß absolut nix los war. Wir wollten herausfinden, wie man mit dem Fahrrad auf die Fähre nach Helsingborg kommt, und wo es die Tickets dazu gibt. Es ergab sich, dass wir auf das Schloss Kronborg zusteuerten, dessen Gelände man inzwischen (unser letzter Besuch dort war 1988) umgestaltet hatte, und zwar gar nicht unübel.

Hamlet

An der schroff-düster-beängstigend wirkenden Nordseite des Schlosses, welches ja bekanntermaßen Schauplatz des Shakespeare-Dramas „Hamlet“ ist, wurde auf einer Freilicht-Bühne adäquat das Stück „Richard III“ aufgeführt. Die zweite Begegnung mit der Welt-Literatur an diesem Tag, nur 400 Jahre früher. Wenige Besucher verirrten sich dahin. Entweder war es zu teuer oder den Leuten ergeht es so wie uns Groß-Banausen: Shakespeare-Stücke triefen vor Mord, Verrat, Unmoral und Verwirrung, und man kann sich vorher noch so schlau machen, man versteht weder die Handlungsstränge noch die Sprache, egal ob in deutsch oder englisch. Man stelle sich nur vor, diesen Stoff auch noch in dänisch vorgesetzt zu bekommen. Wenn mal kein Shakespeare auf dem Programm steht, gibt es dort auch Pop- und Jazzkonzerte.

Schloss Kronborg
Kronborg von hoher See (Schieberegler-Vergleich)

Montag, 5. August 2019

Nach dem Mittagessen folgte eine Radtour: Über Espergæde-City, durch die einsamen Berge und Wälder nach Ålsgårde und von dort weiter durch den Wald am Meer bis Hornbæk. Skandinavik pur. Auf dem Strand am Wald trafen wir auf 3 alte WK-II-Bunker. Unglaublich, wo überall die Nazis den Angriff der Alliierten in Betracht zogen, und auch noch glaubten, gewinnen zu können. Wieder verwechselten wir in der Erinnerung Hornbæk mit Gilleleje, welches uns als Ziel heute zu weit erschien. In der Vorstellung war Hornbæk der interessantere, größere, lohnendere und fischigere Ort, doch in Wirklichkeit ist das wohl Gilleleje. In einer Havn-Butik hatten sie schöne, aber unbezahlbare Segelschuhe der Marke Sebago. Wir hatten zwar kaum Hunger, aber das Angebot war zu verlockend, die Gelegenheit da, und jetzt Pflicht: an einem Hafen-Imbiss kauften wir eine Ladung Bratfisch mit Pommes.Unsere Maestro-Karte wurde zur Bezahlung des Fisch-Fraßes leider nicht akzeptiert, und so konnten wir uns ein Getränk dazu nicht mehr leisten. Den Rückweg gestalteten wir komplett par-la-Côte über Helsingør und Snekkersten, immer Ausschau haltend nach einem Ferienhaus, welches wir 2017 fast genommen hätten, aber zum Glück dann doch nicht: Eine Garage für 1000 € die Woche, gerechtfertigt allein durch die Lage am Wasser. Wir vermuten, die Garage wurde abgerissen und durch zwei kubistische weiße Luxux-Buden ersetzt. Es standen 2 Mercedes vor der Tür. Tagesleistung: 42 Km.

Dienstag, 6. August 2019

Am frühen Morgen (5.30 Uhr) fing es an zu regnen. Sofort standen wir auf, um zu schauen, wie die Taube das verkraftet. Am ungewöhnlich hohen, alten Nachbarhaus (dort, wo angeblich die Omma wohnt, die sich darauf freut, mit uns deutsch zu sprechen, die sich aber bisher nicht hat blicken lassen) hat das Satteldach zwei kurze Simse mit etwas Dachüberstand. Auf diesen beiden Ecken sitzen gerne zwei Tauben, die den ganzen Tag leise vor sich hin schnurren wie Katzen. Sie haben es sehr gemütlich, fast beneiden wir sie für ihren Camping-gerechten Aufenthaltsort. Bei Regen ideal. Sie können einfach sitzen bleiben und alles beobachten. Darum waren wir bisher auch noch nicht in Kopenhagen – die Beobachtung der Tauben lässt uns keine Zeit. Vormittags fuhren wir mit dem Rad zum Espergæde Einkaufszentrum (30 Höhenmeter), wo es alles gibt, außer das, was wir gerade kaufen möchten. In einer Buchhandlung fragten wir nach Landkarten, z.B. Fahrradkarten. Sie boten uns einen Bildband über Dänemark an und einen Autoatlas. Weiter zu IRMA, das wir zunächst für ein dänisches ALDI-Pendant hielten. Aus dem Laden wurden wir nicht recht schlau. Klein, sehr eingeschränkte Auswahl, viel, aber nicht nur Bio. Vielleicht auch nur Pseudo-Bio. In der Obst-Gemüse-Abteilung war es so dunkel (noch dunkler als in den üblichen durchschnittlich-dunklen dänischen Supermärkten), dass wir bedauerten, unsere Taschenlampe nicht mitgebracht zu haben. Aber ein nächstes Mal wird es nicht geben. Ganze Warengruppen gab es schlicht nicht. Z.B. süße Desserts in Plastik-Bechern. Nicht, dass wir den ökologischen Wahnsinn dieser Waren ignorieren, aber an ölologischen Gründen kann es nicht liegen, denn Unmengen von anderem Zeug wird hier durchweg in Plastik-Verpackungen verkauft. Am späten Nachmittag besannen wir uns auf die Tour des Tages. Diesmal war Gilleleje als Ziel ausgekuckt. Mit dem Auto direkt dorthin. Wir kamen um 16.30 an, und viele Geschäfte machten sich ans Schließen, denn es war ja noch hell. Wir parkten sehr abgelegen, dafür umsonst. Gilleleje hatte mächtig aufgebaut. Ein Kulturzentrum mit Supermarkt, welcher aber enttäuschte. Immerhin sammelten wir ein paar Prospekte ein. Am Hafen verzehrten wir die in einer Bäckerei gekauften Apfelkuchen, die leider nicht mit französischen Chausson-aux-Pommes mithalten konnten, diese preislich aber um ein Vielfaches übertrafen. Eine testweise gekaufte Tebirke sparten wir uns für den nächsten Tag auf. Es existierte noch die Hafenbutik, in der wir 2005 Hose und T-Shirt kauften, sie verdiente diesmal nichts an uns. In den Außen-Auslagen lag ein paar SEBAGO-Segelschuhe mit dem Lockpreis von 600 DKK, aber in Größe 40. Drinnen waren auch die in 43 vorhanden, allerdings für 1299,00 Kronen. Schnell wieder weg. Die größte Enttäuschung bereitete uns der nicht mehr vorhandene Eis-Silo am Hafen. 1988 eine fotografische Ikone in Farbe und Schwarzweiß, tags und abends. Beim 2005er Aufenthalt sträflicherweise nicht fotografiert, jetzt war nichts mehr zu machen***. Ein Tesla kurvte lautlos rum, aus einem einzigen Grund: Seht her, ich fahre einen Tesla.

*** am 10. August fanden wir heraus, das es den Eis-Silo in unserer Erinnerung hier nie gegeben hat. Er steht in Bagenkop auf der Insel Langeland, hoffentlich immer noch.

Uns war dann nach Strand, und so fuhren wir spontan 10 Km weiter nach Westen, um einen fast-Sonnenuntergang in Rajeleje zu erleben und Sand unter den Füßen zu spüren. Rajeleje schlief schon, wir hatten den Strand für uns allein. 10 Minuten im Wasser stehen und die Wellen bis an die hochgekrempelte kurze Hose spritzen lassen. Auch von hier aus war die Bergkette 30 Km nördlich von Helsingborg noch schwach zu sehen. Auf der Rückfahrt erlebten wir die Einsamkeit des hügeligen, ländlichen Nord-Seeland mit Wäldern, Feldern und ohne Anzeichen von Zivilisation. Kein Haus, keine Stromleitung, nichts. An einem abgelegenen und heruntergekommenen Gehöft zu klopfen und um ein Nachtlager zu bitten, fiel uns nicht leicht. Doch wir hatten Glück und bekamen Einlass gewährt. Das alte Bauernpaar war extrem wortkarg, ab und zu hörte man ein Grunzen. Auch wir schwiegen besser. Natürlich sprachen sie weder deutsch noch englisch, vielleicht kaum dänisch. Sie stellten uns einen Teller kalte Brotsuppe mit gemolkener Ziegenmilch hin. Als es stockdunkel war, wurde uns im Schein einer 15-Watt-Lampe stumm eine Pritsche im Durchgang zum Stall zugewiesen. Es zog, und wir hatten keine Decke. Später in der Nacht hörte man den Bauern röcheln, und die Bäuerin schlurfte in der Etage über uns unentwegt hin und her. In der Ferne zuckten Blitze, und der Donner grollte schwach.

Strandvej

„Strandvej“ nennt man die 40 Km Küstenstraße 152 von København bis Helsingør. Fast durchgängig bebaut, aber genauso durchgängig angenehm erlebbar. Fast keine Bausünden, dafür nach Norden zunehmender Schweden-Blick.

Mittwoch, 7. August 2019

Trotz – oder besser, wegen – Regen-Prognose fand wie geplant der Schweden-Tag statt. Mit dem Rad nach Helsingør, Tickets gekauft und rüber. Die Fahrt dauert länger, als die nur 4 Km lange Passage vermuten lässt. Gut gelaunt und erwartungsfroh kauften wir an Bord eine Bockwurst mit Brot. Den Preis von 47 SEK rechnete das Frollein an der Kasse in 68 DKK um – was eigentlich nicht sein kann. Sie hat uns verarscht, weil sie davon ausging, dass wir nicht mitrechnen und wirklich jeden Preis zahlen. Sie hätte statt 47 auch 470 SEK ansetzten können. So kostete die Bockwurst, immerhin mit Senf, 8,85 €. Auf das Bier (0,33) für 75 SEK verzichteten wir daher. Es hätte uns ruiniert. Auf der Helsingborger Seite fuhren wir ohne Umschweife nach Süden. Landskrona mit den Fährhafen nach Ven wäre schön gewesen, aber zu weit. Vom ersten Streckenabschnitt bis nach Råå wussten wir, dass er entlang von kilometerlangen Industriegebieten gehen würde und nahmen das tapfer in Kauf. In Råå war nix los, aber die Sonne schien und wir kauften in einem Hafen-Restaurant zwei bemerkenswert leckere Eise (schwedisch: GLASS) zum Mitnehmen. Die Blonde begrüßte uns mit „hej“. Nach Landessitte zahlten wir mit Karte. Im Verlauf der Weiterfahrt lernten wir folgende Orte kennen: Rydebäck, Glumslöv, Kvistofta, Gantofta, Bårslöv und Påarp. Bei Glumslöv begann ein wunderbarer Schauer, den wir in einer geschützten Bushaltestelle am Wegesrand abwarteten. Vermutlich der Höhepunkt der Reise. Dann wurde die Gegend wieder sommerlich-ländlich, ähnlich wie in einer ZDF-Inga-Lindström-Schwedenschnulze, wo der Gehörnte die Bemühungen der wegen einer Affäre bzw. einer missverstandenen Eifersuchtsgeschichte unglücklich Entlobten ignoriert und der Gedanke an den zu früh beim einem Reitunfall ums Leben gekommenen Vater/Bruder/Stiefenkel tief schmerzt (Pferd hatte eigentlich Vorfahrt, aber ein Saab-Fahrer kam plötzlich aus dem Dickicht. Merke: Unfälle niemals mit Volvo). Gegenspieler ist der unsympathisch dreinschauende, arrogant-bescheuerte Business-Kasper, der ständig und dringendst wegen alberner Geschäfte (Anwalt, Immobilienhai, Galerist kurz vor der Pleite) mit seinem uralten roten Puckel-Volvo nach Stockholm muss. Neben-Gegenspielerin ist die misstrauische Schwiegermutter, die eine Leiche im Keller hat, bzw. mit einem dunklen Familiengeheimnis partout nicht rausrücken will. Allen ist schnell klar, dass die Verliebten in Wirklichkeit Geschwister sind, nur die beiden selbst merken natürlich nichts. Diese ganze Bagage kam uns auf der Radtour entgegen, wie uns im Vorbeifahren auffiel. Doch beim Blick nach Norden wurde uns mulmig. Dieses Schweden ist so riesig. Nach Norden geht es noch ungefähr 1500 Km weiter, und es wird immer einsamer. Hinter Stockholm kommt nix mehr, außer Gegend. Tagelang nur Fichten, Moos und Geröll. An den wilden Flüssen, die schnurstracks aus den Bergen kommen, winken Bären und bringen Elche zum Stolpern. Die letzen 10 Km bis Helsingborg, die neuntgrößte Stadt Schwedens, wurden sichtbar dööfer. Ein Verhau von Schnellstraßen, Plattenbau-Siedlungen und Gewerbegebieten verdarb vollends die Schweden-Romantik. Wir sahen auf der ganzen Tour exakt ein einziges Haus in der stereotypen Optik, die man normalerweise erwartet: Rote Bretter mit weißen Fensterrahmen und Giebellatten und dem Pferd auf der Veranda. Auch das Wetter ließ mal wieder deutlich nach. Wir kamen von der extra doofen Seite rein und gaben angesichts des kalten Wetters und der runtergekommenen Stadtoptik das Zwischenziel „Innenstadt“ mit geplanter Shopping-Tour schnell wieder auf. 1988 stießen wir hier erstmals auf den als sensationell geltenden Klamottenladen H&M, der in Paderborn erst 1995 ansiedelte. Also direkt zum Hafen, nix wie weg hier.

Noch in der Wartespur für die Fähre fing es an zu regnen, und wir legten die VAUDE-Regencapes an. Die Capes bringen es überhaupt nicht. Der Wind, und wenn keiner weht, der Fahrtwind, schiebt einem die sehr weite Kapuze nach hinten und hebt den Rücken hoch. Wenn man Pech hat, steht das ganze Cape im Wind wie ein Kamin senkrecht nach oben in der Luft und wird nur vom Kopf soweit gehalten, dass es nicht komplett wegfliegt. Wenn wir Designer für Fahrrad-Regenkleidung wären, wären wir für folgendes, praxisgerechtes Ausstattungsstück: Ein stinknormaler Anorak wird erweitert durch einen großen trapezförmigen Latz, welcher oben an den Schultern stabil angeknöpft/angeknebelt wird und unten durch eine Schlaufe am Lenker fixiert wird. So entsteht ein funktionierender Schutz für die Hose, unter dem es gemütlich zugeht, und wo man vielleicht während der Fahrt, optimalerweise durch ergiebigen Dauerregen, bequem eine Tasse Kaffee kochen kann, natürlich solar-betrieben. Statt Kapuze können wir uns auch einen leichten, weiten Helm mit ebenfalls Solar-betriebenem Scheibenwischer vorstellen. Warum kommt die Industrie nicht auf solche genialen Ideen (mal abgesehen von dem löblichen schweizerischen mobilen Fahrrad-Faltdach-Hersteller https://dryve.ch/

Die Kulturværft (als Anlaufstelle für die nicht vorhandene Tourist Information) konnte uns keine Radfahrkarte verkaufen, wie schon gestern in Gilleleje und überhaupt überall. Analoge Navigation ist absolut out. Ein leichter Regen begleitete uns zurück nach Espergæde. Wir wärmten die Ratatouille von gestern auf.

Das VAUDE Regencape in Aktion. Bei langsamer Fahrt weht nur die Kapuze nach hinten. Man kann sie einhändig festhalten. Bei Wind oder schneller Fahrt hebt sich der Cape-Rücken an, bis das ganze Cape senkrecht in der Luft steht. Das Foto wurde zu Demo-Zwecken allerdings bei sonnigem Wetter gemacht.

Donnerstag, 8. August 2019

In Roskilde, südwestlich von Kopenhagen, steht auf einem Hügel hoch über dem Roskilde Fjord die dollste Kirche Dänemarks. Dölle ergibt sich in zweierlei Hinsicht: a) baulich und bauhistorisch (irgendein Backstein-Rekord in Größe und Alter) und b) als Grablege von 40-60 dänischen Königen und Fürsten. Der erste war Harald Blauzahn, König von Dänemark und Norwegen (910–987), Erfinder des Bluetooth-Funkstandards. Da wollten wir hin, und zwar aus Anlass eines sog. „Sommerkonzerts“ im Dom, welches leider erst um 20 Uhr stattfinden sollte. Wir kamen natürlich zu spät los, verfuhren uns trotz Navi rund um Hillerød und kamen am Dom um 17.45 an. Man war grade dabei, die Besucher der Tagesschicht rauszuschmeißen. Anders als in Naumburg, wo wir ebenfalls um 17.45 für 10 Minuten noch 6,50 € abdrückten, war hier trotz unserer Bereitschaft, die 60 Kronen zu zahlen, nichts mehr zu machen. Es regnete wieder. Roskilde war wie ausgestorben, jedenfalls hinter dem Dom. Wir entschieden uns, die Zeit bis Konzertbeginn mit einem Gang zum Hafen am Fjord zu überbrücken. Als wir unten ankamen, schien wieder die Sonne. Es war so etwas wie Street Food mit mehreren Fressbuden im Gange. Sehr rechtzeitig stiegen wir wieder hoch für eine Runde rund um und zur Domkirke, wo wir ermahnt wurden, dass keine Besichtigung möglich wäre. Wir versichertern, to have come only for listening the concert. Businessmäßig hatte man sich für das bewährte Preismodell „Eintritt frei – Spende erbeten“ entschieden. Es gab Renaissancisches und Frühbarockes von Scheidt, Schütz, natürlich Buxtehude (dänisch-deutscher Organist und Komponist) und Bach. Der Organist hatte sich die anscheinend schwierigste Nummer als Challenge (Prälude und Fuge aus Bachs 10 Gebote) für zum Schluss gelassen. Die Altistin sang 10 Höhenmeter über dem in ordentlicher Anzahl erschienenen Publikum vom Orgelbalkon herunter und gab sogar eine Zugabe. Wir waren die einzigen Paderborner und hätten damit eigentlich ins Guiness Buch der Rekorde gehört. Beim Rausgehen stand doch Keiner mit einem Hut zum Spenden sammeln. Im Programmheft wurde dezent auf eine Spenden-App hingewiesen, welche durchschnittliche Dänen auf ihrem Handy haben, wir leider nicht. Im Dunkeln, fortschreitend auch im Regen und Dunkeln, fuhren wir wieder heim, allerdings nicht über die Dörfer, um nicht die dänischen Igel und Füchse platt zu fahren, aber auch, weil wir im Dunkeln null Orientierung haben. Sondern über diverse Autobahnen. Darauf noch ein Tuborg grøn.

Freitag, 9. August 2019

Wetter erst kühl, dann besser, abends wieder kühl. Höhepunkt 1: Radtour nach Helsingør. Aufgrund der hohen Eintrittspreise (Kronborg umg. 19 € und Seefahrtsmuseum umg. 15 €) ließen wir beide ausfallen. Ja, wir sind wirklich arm. In Kronborg hätte uns sowieso nur das Abfotografieren eines bestimmten Gemäldes gelockt. Nicht auszudenken, wenn es dann geheißen hätte „Fotografieren streng verboten …“ – obwohl – so sind sie eigentlich nicht. Am Seefahrtsmuseum hätte uns vor allem die Architektur interessiert, nicht so sehr die Exponate. Nun ja. Wir machten statt dessen eine ausgiebigen Shopping-Tour, allerdings ohne auch nur irgendwas zu kaufen. Auch kehren wir nirgendwo ein. Helsingør war für dänische Verhältnisse proppenvoll. Es gab belebte Plätze mit vielen Kneipen, fast wie in holländischen Städten. Vor der Kulturværft fanden sportlich-lustige Spiele für die Jugend statt. Dann noch die Besichtigung der öffentlichen Bücherei im Gebäude der Kulturværft Hesingør. An einem der bereitstehenden Computer googelten wir nach „Dioezesanmuseum“. Das Diözesanmuseum Paderborn stand an erster Stelle im Ranking. Das war der Beweis unter neutralen Bedingungen, dass die SEO 100%tig funktioniert. Noch besser: Alle Inhalte erschienen auf Anhieb, ohne irgendetwas einstellen oder auswählen zu müssen, in Dänisch. Dieses Merkmal konnten wir daheim bisher noch nicht reproduzieren. Die Übersetzung erfolgt natürlich bei Google. Hört sich gut an, aber: der Datenschutz-Beauftragte des Erzbistums schlägt vor Entsetzen nicht nur die Hände über dem Kopf zusammen, sondern er schmeisst sich zu Boden, bekommt einen epileptischen Anfall mit 30-minütigem Schreikrampf.

Höhepunkt 2: Radtour am späten Nachmittag nach Espergæde Hafen, um dort am frühen Abend zu Essen. Wir bestellten 2 mal Fish + Chips. Der Wirt gab uns einen Bon mit der Nr. 85 und sagte: „You can take the drinks now and sit down outside. When the meals are ready, we’ll find you anywhere. Das Essen kam auf Tellern, war reichlich und wir zogen mit Tellern und Bier weiter zu den öffentlichen Picknicktischen an der Hafenmauer, wo wir nebenbei auf den Øresund schauen konnten, wo in 5 Km Entfernung die Fähren aus Kiel vorbeikamen (Stena Line, Color Line).

Samstag, 10. August 2019

Wetter bedeckt, nicht kalt, Regen-Wahrscheinlichkeit. Nach dem Frühstück – letzte vorhandene Reste – ging es zum Einkaufen. Zunächst bei dem schlechte Laune erzeugenden Espergæde Centret, ein Campus verschiedener Läden ohne jedes Flair. Das Logo des Centret scheint uns abgekupfert vom Marketing-Logo der Stadt Bielefeld. Oder umgekehrt. Immerhin bekamen wir es hin, alle Glas- und Plastikflaschen am Automat zurück zu geben. Einen Bäcker hat das Centret nicht, daher fuhren wir zu Brødsnedkeren.dk nach Hublebæk direkt am Strandvej Ecke Fredensborgvej. Auf dem Hinweg sah man sie strömen: Besuchermassen des Louisiana-Museums, die vom Bahnhof Humblebæk (welcher sich sogar Louisiana nennt) auf das Museum zuströmten, als ginge es zum Fußballspiel Bayern München gegen Borussia Dortmund. Heute sollte dort als special Event zweimal der in Fachkreisen bekannte Jazz-Trompeter Miles Davis (falsch. Richtig: Palle Mikkelborg) spielen, 2 Tröten und ein Compi-Kerl. Vielleicht sorgte auch das für den Autrieb. Wir verschoben den für heute ins Auge gefassten Besuch auf Dienstag-Vormittag. Gegen 14 Uhr wurde es Abend. Wir machten einen Fahrrad-Ausflug zu „unserem“ ca. 500m entfernt liegenden „Strand“, wo wir den Wolkenbrüchen, die für den Rest des Tages folgten, unter einem Baum, Camping-like geschützt, entgegen sahen.

Espergæde Centret kontra Bielefeld



Warteschlange Louisiana an normalem Dienstagmorgen um 11.15 Uhr

Sonntag, 11. August 2019

Der Kopenhagen-Tag. Am späten Vormittag fuhren wir mit dem Auto den Strandvej runter bis zu einer Wiese bei Taarbæk, wo wir parkten. Das Fahren auf dem relativ engen Strandvej war schwierig, wegen der vielen Radrennfahrer. Eine Massenerscheinung, fast schon eine Plage. Auch wenn man Rad fährt, hat man ständig welche hinter sich, die sich nicht bemerkbar machen, sondern plötzlich wütend überholen. Nebeneinander fahren ist ausgeschlossen. Warum Taarbæk? Wir hatten einfach Angst, in Kopenhagen und auf der Strecke dorthin keinen Parkplatz mehr zu bekommen. War natürlich Quatsch, den selbst in der City gab es an abgelegenen Stellen noch Plätze, die wir aber wohl nicht spontan gefunden hätten. Mit dem Rad weiter nach Kopenhagen. Der Abschnitt zwischen Klampenborg und Hellerup war recht öde: Die sehr breit als Strandboulevard ausgebaute Straße, zog sich endlos hin ohne Grün und ohne Abwechslung. Bei Hellerup begann der Stadtraum. Wir staunten, wie sich alles seit 2005, unserem letzten Besuch hier, verändert hatte. Nicht unbedingt schön, aber interessant. Riesiege Büro- und Wohnlandschaften sind auf Gelände entstanden, welches irgendwann zuvor vor der Küste aus dem Meer angelegt wurde, zumindest legen die Topografie und Ansichten in Google Maps das nahe, wo zu beobachten ist, wie dieser Prozess weitergeht. Wir gerieten unter japanische Touristen, die eine sog. „Wachablösung“ von Soldaten mit Bärenfellmützen auf dem Innenhof von Schloss Amalienborg besichtigten. Unser Thema war das Kennenlernen der neu entstandenen Waterfront-Areale und der baulichen Forcierung des Fahrradverkehrs in der Stadt. Über 2 der international bekannt gewordenen Fahrradbrücken über „Københavns Havn“ sind wir selbst gefahren. Das Fotografieren war schwierig, da man im Radverkehrsstrom nicht einfach gemütlich anhalten kann. Anhalten nur nach Umkucken, ob es gerade geht. Der Radverkehr hat sehr viel Raum bekommen. Auf allen Straßen sind breite Streifen reserviert oder neu gebaut. Dass das Radfahren hier ähnlichen Phänomenen in den Niederlanden den Rang abgelaufen hat, können wir nicht feststellen. Von den vielen Neubaugebieten konnten wir nur einen Bruchteil sehen, zu groß ist die Verteilung in der Stadt. Das Radeln war anstrengend: sehr windig, grelles Gegenlicht von der Sonne, viele Ampeln und Kreuzungen, das ständige Beachten der anderen Radfahrer. Auf manchen gepflasterten Abschnitten hatte man das Pflaster im befahrenen Bereich mit abgeschliffenen Pflastersteinen versehen, sodass es dort nicht so holperig zuging. Ein Vorbild für die Gegend Kisau, Mühlenstraße und Michaelstraße in Paderborn. Beim Neubau des Dänischen Architektur Centrum (DAC) legten wir einen Stop ein. Für eine Besichtigung reichte die Zeit nicht, und wir ließen es beim Besuch des Shop und der Café-Terasse, wo wir uns nach einer Woche den ersten gastronomischen Kaffee dieses Urlaubs gönnten. Quer durch die Fußgängerzone Strøget schoben wir bis zum Park des Botanischen Gartens. Das Palmenhaus war geschlossen. Noch schnell kurz vor Schluss ein Besuch im Shop und Foyer des nebenan liegenden Kunstmuseums (Statens Museum for Kunst), bevor es zurück ging. Wir hatten nun überwiegend Rückenwind. Vor Hellerup bogen wir ab zu dem riesigen, künstlich augeschütteten Areal „Nordhavn“. Hier, in einer noch sehr unfertigen, weit abgelegenen Büro- und Gewerbelandschaft am Wasser, ist in zwei Rundtürmen die deutsche Botschaft untergebracht. An der Ostspitze von „Nordhavn“ glaubten wir, einen guten Blick auf die Øresundbrücke zu bekommen. Die Blick war da, nur nicht gut. Viel zu weit weg.

Montag, 12. August 2019

Die Wetteraussichten versprachen sonnige Beständigkeit. Wir luden die Fahrräder auf und machten uns auf den Weg nach Liseleje, im üblich-dänischen Schneckentempo. Auf leeren, breiten Überlandstraßen gilt 70 km/h als rasant bis waghalsig. Schneller fährt niemand. hier kommt man auf traumhafte pro-hundert-km-Verbrauchszahlen. Es gibt mehrere „-lejes“ an der Nordküste, z.B:

  • Liseleje = Liselei
  • Tisvildeleje = Tischwildelei
  • Gilleleje = Gillelei
  • Rajeleje = Rackelei

Liseleje ist ein Urlaubsort, wie es keinen zweiten gibt: Mehrere Imbissbuden, ein Spar-Markt, ein Bolig (Immobilien-Agentur), vielleicht sogar Restaurants. Die Unterscheidung von der Imbissbude ist schwierig. Wir parkten und gingen erst mal an den Strand. Über 250 Meter Strandabschnitt waren bestimmt 30 bis 40 Leute verteilt, und daher war der Strand fast übervölkert. Kurze Zeit später fing es an zu regnen, wir zogen uns zum Auto zurück. Einer sitzenden Ordensschwester, die uns bereits auf dem Hinweg aufgefallen war, hatte man ein Handtuch über den Kopf gezogen, vielleicht um ihre Tracht zu schützen. Beim Auto hörte es wieder auf zu regnen und wir wagten den Start unserer geplanten Rundtour -> Hundested -> Lynæs -> Sølager -> Torup -> Melby -> Liseleje. Diese Tour sollte viele spannende Höhepunte bieten:

  1. spektakuläres Steilufer bei Nødebovejen mit atemberaubenden Ausblick
  2. Wiedersehen des kuddelmuddeligen Hafens Hundested mit der romantischen Rørvig-Fähre und dem gastronomischen Höhepunkt „Havnengrillen“, wo wir bisher jedesmal einen Risted Pølser geholt hatten
  3. Weitere kulinarische Attraktionen in Lynæs
  4. Mehrfaches Überqueren der Bahnlinie Hundested – Hillerød
  5. Durchqueren unseres Urlaubsorts 1992 Melby mit dem Sehnsuchts-Hot Spot Bahnhof Melby

Soweit die Theorie. Hier die Realität:

  1. Die spektakuläre Steilkante kam für uns überraschend. Wir glaubten, auf See-Niveau zu sein, doch plötzlich standen wir vor dem Abgrund. Da hatten wir schon einen heftigen Regenschauer hinter uns, der noch überraschender kam. Wir waren nicht vorbereitet. Die Kapuze und die Regenhaube waren leider daheim geblieben. Wir schützten uns zu zweit unter dem orangenen Rucksack. Es nützte nichts. Aufgeben und Rückkehren oder Weiterfahren ? Auf der Weiterfahrt nach Hundested kam die Sonne raus, wärmte etwas und trocknete oberflächlich im Zusammenspiel mit dem Gegen- und Fahrtwind. Oberflächlich heißt: die Fleecejacke leitete sämtliche Feuchtigkeit nach unten durch, sodass auch häufigen Auswringen nichts half.
  2. Hundested war zum Glück immer noch kuddelmuddelig, hatte aber gastronomisch zugelegt. Daher ignorierten wir zunächst den Havnengrillen neben der Abfertigung zur Rørvig-Færge. Es würde sich vielleicht noch etwas besseres finden. Die Mutter hielt Ausschau nach einer preiswerten Möglichkeit, um trockene Ersatzklamotten zu kaufen. An eine Einkehr war nicht mehr zu denken. In einer Dorfbutik wurden wir fündig und behielten die chicque Neuerwerbung wegen akutem Bedarf gleich an.
  3. Nun glaubten wir, uns mit den kulinarischen Attraktionen in Lynæs belohnen zu können. In Lynæs war der Hund verfroren. Es dunkelte es bereits wieder ab, der Wind frischte auf und wir dachten zunächst, hier müsste die Fähre über den Roskilde-Fjord, wo wir noch 1992 übergesetzt hatten, abgehen. Ging sie nicht. Fährlinie eingestellt, wie schon Kiel–Bagenkop bzw. Gelting–Faaborg ? Nein. Man musste 3 km weiter östlich nach Sølager. Ein kleiner Abstecher, und wir waren am Fährpunkt. 6 Autos warteten. Wo wir uns in der Fantasie einen Kiosk mit Eis und Pølser ausgemalt hatten, bestand die Infrastruktur lediglich aus zwei verschlossenen Bretterbuden und einem sehr zugigen hölzernen Unterstand in Form einer Futterkrippe, wie sie auf der Egge für die Winterfütterung des Wildes steht. Da der schon von weitem sichtbar herannahende und als Naturschauspiel faszinierende Regenschauer den Fährpunkt erreicht hatte, war der sehr zugige Unterstand immerhin besser als nichts, wahrscheinlich sogar der Höhepunkt der Tour. Neben der Bushaltestelle in Glumslöv, Schweden, natürlich.
  4. Im Verlauf der Weiterfahrt nahm das Wetter an Sommerlichkeit wieder zu. Wir kreuzten einmal die legendäre Bahnlinie Hundested–Hillerød, die jetzt auch mit schnittigen gelben Zügen bedient wird. Die alten roten Schienenbusse haben ausgedient. An einem Haltepunkt war immerhin ein überdachtes Wartehäuschen, das wir im erneuten Notfall genutzt hätten. Eine der schönsten Bahnlinien überhaupt.
  5. Da wir die Bahn bereits im Großraum Torup überquert hatten, ergab sich nun kein Berührungspunkt mehr mit dem legendären Melby’er Bahnhof. Schade.

Nach Ankunft in Liseleje kehrten wir nicht ein, sondern setzten unseren Strandaufenthalt fort, den wir für die Radtour nur unterbrochen hatten. Tapfer stillten wir Hunger und Durst mit abgefülltem Wasser und den letzten Haferplätzchen. Abends dann endlich das erste Captain’s Dinner: Beim „Italiener“ DIVINE in Espergæde.

Dienstag, 13. August 2019 (Tag des Mauerbaus 1961)

Das Wetter brachte nichts zustande. Wir unternahmen um 11.00 Uhr zu Fuß einen Versuch, das Louisiana zu besuchen. Leider war die Warteschlange vor der Tür so lang, dass wir spontan wieder nach Hause gingen. Wir klüngelten rum bis auf einen Break, zu dem wir bei Brødsnedkeren.dk einen Marzipankranz holten und als Nachtisch zum sehr leckeren, selbst zubereiteten Mittagessen (Kartoffeln und Möhren) servierten. Dann lesen, schreiben und ab und zu nach dem Wetter schauen.

Karten an Miriam und Dilbert sowie an Marina und Dieter:

Ihr Lieben daheim !
Viele Grüße (bis zu 1000) senden aus Dänemark die Mutter und der Onkel. Wenn andere am Strand liegen, sich Steak mit Pommes reinschaufeln oder Party machen, radeln wir lieber durch abgemähte Kornfelder und übernachten in Bushaltestellen-Häuschen, weil man dort gut vor dem Regen geschützt ist. Auch an Kleinst-Fähren oder Bahnlinien existieren diese Häuschen, sodass man komfortabel durchs Land kommt. Mehr von diesen Abenteuern nach unserer Rückkehr. Bis bald. Als Vorderseiten-Bild das Selfie von der Bushaltestelle bei Glumslöv.

Louisiana

Zweier Versuch. Am Abend, so nach 18.30 Uhr entschlossen wir uns, den fälligen Louisiana-Besuch durchzuziehen. Auf Google konnte man die Besucher-Statistik nahezu live einsehen, und nun sah es ordentlich aus. Keine Warteschlange am Eingang. Gut besucht, aber nicht voll. Wir durchwanderten fast alle Räume. Neben den vielen Giacomettis sowie dem Øresundblick aus manchen Räumen und von der begärtnerten Terrasse war die Sonderausstellung Pipilotti Rist der Hammer. Viel Video-Geflimmer von mikroskopisch klein bis wandfüllend in mehreren aufwendig inszenierten Räumen. Der riesige Shop hatte neben gehobenem Tinneff („dänisches Design“) sogar eine Klamotten-Abteilung. Kurz vor 22 Uhr waren wir wieder draußen und nahmen noch den fast vollen Mond am Strand mit.

Mittwoch, 14. August 2019 – Kopenhagen II

Dansk Psalm Bog

Mit der Bahn sollte es nach Kopenhagen gehen. Wir brachen zeitig auf und wurden das erste mal beim Anstieg kurz vor Humlebæk Kirke von einem Regenschauer ausgebremst. Unter der Eingangsänmarkise eines kleinen Restaurants, das erst in 1 1/2 Stunden öffnen würde, warteten wir den Schauer ab. Es schüttete ziemlich. Erst fühlte man sich sicher und gut aufgehoben, aber es war wie immer, wenn man im Regen unter irgendeiner Plane sitzt: Nach einiger Zeit wird man doch nass. Dann ging es wieder. Doch wir kamen höchstens 150 Meter weit, dann mussten wir bei der Kirke wieder im Eingang abwarten. Schnell ein Blick hinein: Buntes Fenster im Chor, Kanzel, Orgel, Bänke, kein Kreuz. Sind es die Reformierten ? Nicht zu erkennen. Das Gesangbuch war das dänische Einheitsgesangbuch, freigegeben von Königin Margarethe II. In der aufgeschlagenen Seite stand: „Lover den Herre, den mægtige konge med ære! Lov ham min sjæl, og lad det din forlystelse være.“ Für Reformierte gar nicht so übel.

Der Regen hatte nicht wirklich aufgehört, dafür war es noch kälter geworden. 13°. Viel im Winter, wenig im Sommer. Wir dachten what shall’s und erreichten den Bahnhof Humlebæk. Wohltuend, wie logisch und plausibel das dänische Ticket Sales am Automaten verläuft. Warenkorb-Bildung bis alles was man möchte ausgewählt ist, dann zahlen mit Maestro Karte. Deutsche Bahn-Automaten-Programmierer können sich dagegen nicht vorstellen, dass man mehr als für eine Person kaufen möchte, und vielleicht die meistgefragten Produkte an diesem Ort anbietet. Statt dessen: wann ? (In drei Wochen vielleicht). Wohin (wahrscheinlich nach Sarajewo in Slowenien, über Bukarest). Mit Sitzplatz-Reservierung. etc. Wir fuhren bis Østerport und wanderten 1 Km bis zum Statens Museum for Kunst (SMK). Auch dort lief alles super:

Service: Freundlich, kompetente Beratung, keine misstrauische Dauerüberwachung, wo ständig jemand hinter einem herläuft und zurückpfeift. Übelstes Beispiel aller Zeiten: Im Folkwang-Museum Essen kassierten wir 4 Anraunzer bei einem Besuch. Wegen Anlehnens an einen Durchgang. Wegen auf dem Handy kucken, wie spät es ist. Wegen Zu-nahe-kommen an der Exponatsbeschriftung. Wegen Fotografierens auf dem Gang. Nie wieder Folkwang-Museum.

  • Ambiente: Altbau durchrenoviert, Neubau trotz fortgeschrittenen Alters (1998) modern, mit Wohlfühl-Atmosphäre und optisch vorzeigbar. Tolle Kafeteria. Für die Gepäckfächer brauchte man keine Münze, sondern konnte einen vierstelligen Code vergeben.
  • Schöne Sonderausstellung „Vilhelm Hammershøj“. Sääle voller Hämmer und Überraschungen.

Nach über 3 Stunden konnten wir nicht mehr und machten nur noch einen halbherzigen Versuch, herauszufinden, ob die Ausstellung „Fashioned from Nature“ was für uns sein könnte. Immerhin kauften wir im Shop dort ein Handtuch. Nun ging es weiter auf Streifzügen durch die Stadt. Für eine systematische Erarbeitung braucht man Wochen. Wir stellten fest, dass die glorreiche Einkauftszone „Strøget“ zumindest im südwestlichen Abschnitt stark nachgelassen hat. Das nordöstliche Gebiet haben wir nicht erschlossen. Aus der Vor Frue Kirke mit ihren Thorvaldsen-Figuren schmissen sie uns nach 2 Minuten raus, man schließe nun. Dabei hatten wir gerade 5 Kronen in eine Opferkerze investiert. Im Uni-Viertel gab es atmosphärisch ansprechende Lokalitäten in einer Mischung auch Buchhandlung und Restaurant. Wir kehrten ein und fraßen dort zu ungewöhnlich zivilen Preisen in ordentlicher Qualität. Sodann ging es weiter. Uns interessierte immer noch die fotografische Ausbeute des angeblich dermaßen mörderischen Kopenhagener Radfahrverkehrs, dass wir schon im Vorfeld gewarnt wurden, dort niemals Fahrad zu fahren. Das war nicht unser Live-Eindruck. Es waren jede Menge auf dem Rad oder dem E-Scooter unterwegs, aber wir hätten, wie schon zuvor am Sonntag, auch werktags mithalten können. Wer in belebter Umgebung ausscheren oder anhalten will, hebt die Hand. Wer vor der Ampel wartet, holt unverzüglich das Handy raus uns checkt die Lage im Netz. Wir kamen nochmal an der Königlichen Bibliothek vorbei, die noch offen hatte. Den zentralen Bau, fertiggestellt 1999, nennt man halboffiziell Black Diamond. Mittwochs haben sie Abendveranstaltungen. Wir begnügten uns mit einer kurzen Besichtigung mit Rolltreppe fahren, eine Ausstellung über Buchbindekunst anschauen, im Shop umkucken mit Prospekte-Sammeln, in den Lesesaal des Altbaus peilen. Es gibt dort außerdem einen Konzertsaal mit 600 Plätzen, das dänische Fotografie-Museum und ein Restaurant. Das alles wäre mit „Stadtbücherei“ wohl nur untertrieben bezeichnet, in D hieße es vermutlich Kulturzentrum. Und wenn es so erstmal heißt, geht es als Un-Ort bald den Bach runter. Am Wasser zurück zum Hauptbahnhof, der direkt gegenüber des Tivoli liegt. Auch auf der Rückfahrt nach Humlebæk wurde im Zug kontrolliert. Was wir in Kopenhagen leider nicht geschafft haben: Das Palmenhaus im Botanischen Garten, das angesagte Szene-Viertel Nørrebro und das Gebiet mit der besonders experimentellen Architektur, Ørestad. Ach ja, unsere Bahnline „Öresundståg“ fährt, wie wir jetzt erst rausgefunden haben, über Flughafen und die Brücke bis nach Landskrona in Schweden. Wäre bei schönem Wetter eine Option gewesen, anstatt des Helsingør-Tages.

Kopenhagen V · Black Diamond · Königliche Bibliothek

Donnerstag, 15. August 2019

Das Wetter: Lohnt nicht. Bei leidlicher Sonne, aber kaltem Wind machten wir mit dem Rad einen kurzen Ausflug nach Espergæde Havn. Keine Einkehr, kein Kauf. Später am Nachmittag riefen die Pflichtaufgaben zur Bewältigung der vorzeitigen Abreise morgen: Tanken, Letzte Einkäufe (Bier + Stinkkäse), Ford-Elmer in Helsingør, um dort prüfen zu lassen, was es mit der permanent leuchtenden Kontrollleuchte „Motor“ auf sich hat. Nach einer Stunde hieß es „alles in Ordnung, wir haben die Lampe ausgeschaltet“. Das Tanken ging natürlich unbemannt. Vorher Karte reinschieben und drauflostanken.

Freitag, 16. August 2019

Wir hauten einen Tag eher als geplant um 8.30 Uhr ab. Auf dänischer Seite kamen wir gut durch. Das Scandlines Ticket kauften wir am Automat mit Kartenzahlung. An Bord gab es 2 Riemen mit Pommes. Nächste Station: Kaffee und Kuchen in dem tollen Café in Großenbrode Ecke Segelhafen. Leider hatten sie dort nichts im Griff. Immerhin freuten wir uns, dass in der Nähe ein John Deere Gator TE mit kompletter Glas-Kabine stand. Unser Traum-Urlaubsfahrzeug für Slow-Travelling. Auf der Pritsche ist eine ausklappbare Plattform montiert, auf der man im Übernachtungsfall ein Zelt aufbauen kann. Gepäck, Proviant und Wasser sind unter der Plattform verstaut. Das Anfahren von Campingplätzen oder Wohnmobil-Stellplätzen ist nicht vorgesehen, nur wildes Campen. Wir kamen um 17 Uhr daheim an, weil die Autobahn von vor Hamburg bis vor Hannover durch Baustellen überlastet war.

John Deere Gator


John Deere Gator