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Unterwegs

2012 – Exkursion nach Berlin

By 9. Juli 2012No Comments
Juli 2012 – Unter dem Himmel über Berlin

Prolog

Es hat sich als Gewissheit herausgestellt, dass wir in geraden Jahren kein Feriendominizil in Frankreich finden (Ausnahmen ausgenommen.). Daher mussten wir frühzeitig und weiträumig auf andere Ziele umschwenken. Wir waren offen für fast alles, also keine Flugreisen, nicht in Länder, wo wir von der Sprache rein gar nichts verstehen oder zumindest zusammenreimen können, nicht alleine* nach England, weil man dort a) auf der falschen Straßenseite fährt und weil wir uns dort für unser schlechtes Englisch besonders heftig schämen müssten. Recherchen in Österreich (Steiermark als Vorposten des tiefen Südens) brachten, obwohl wir Österreich für ein modernes und Design-orientiertes Land halten, nur Unterkünfte mit gedrechseltem und geschmiedetem Interieur und winzigen, Gardinenverhängten Fenstern hervor.

*(Wenn uns jemand, der vor den britischen Verkehrsverhältnissen keine Angst hat, mitnehmen möchte – dann gerne!)

In unserer Not verfielen wir im März auf das Ferienwohnungangebot von berlin.de . Wir fanden eine sehr schöne Wohnung in der Kurfürstenstraße 33 (für die Google Mapper unter euch) in der Mitte vom östlichen Rand des alten Westens. Schön hell und ruhig, Nachteile: Nach hinten gelegen, also ohne quirliges Citylife beim Blick von der Terrasse oder aus dem Fenster. Die Fenster gehen zum Innenhof, aber Dachfenster und Lage in der 4. Etage machen das aushaltbar. Vorher hatten wir befürchtet, dass die Innenstadt-Lage auch die Fahrrad-Mobilität einschränkt, aber auch in Berlin hat sich auf dem Gebiet verändert: Viele Radwege sind entstanden und werden gerne genutzt.

Zu einem gewohnten Element des Prologs ist das Klagen über den Stress im Vorfeld geworden: Die Steuer, ja, die Projekte, der Garten, das Auto, etc. Dabei hatten wir den Anreisetag schon extra auf einen Sonntag gelegt.

Sonntag, 8. Juli 2012

Wir fuhren um 9.15 los, machten bei Helmstedt eine kurze Pause (Coffee to go, Brötchen von der Tanke) und kamen um 14.00 Uhr an. Und das trotz Navi mit heftigem Verfahren. Bei der Zieleingabe Kurfürstenstraße hatten wir die erstbeste gewählt, ohne darauf zu achten, dass es in Berlin vor Kurfürstenstraßen nur so wimmelt. Wir hätten schon misstrauisch werden sollen, dass uns die Kiste nicht auf den Abzweig Richtung Avus schickte, sondern über Ludwigsfelde. Noch 10 km bis zum Ziel und drumherum nichts als Wiesen und Wälder ? Wo waren wir gelandet ? Ist Berlin keine Großstadt ? Wir kamen von Süden rein, und als wäre nur die Mauer abgetragen und sonst nichts, prallte die unverbaute Märkische Lanschaft auf einmal auf die Hochhausbebauung der Westberliner 1970er Jahre: Alt-Marienfeld. Nach Neustart schickte uns das Ding jetzt zur richtigen Adresse, und zwar nicht auf dem schnellsten Weg, sondern dem, der die wenigsten Abweichungen von der Luftlinie hat. Dauert zwar länger, aber wir waren dankbar, so eine intime Stadtrundfahrt durch völlig unbekannte und sogar nette Viertel von Südberlin zu genießen. Südost-Westberlin ist die große Unbekannte – kein Touri war wohl jemals hier.

Mr. Frank wartete schon und wies uns kurz ein. Das W-LAN ging natürlich nicht, und so waren wir mal wieder offline, wie meistens. Wir saßen eine Zeit rum und erholten uns von der Fahrt. Dann machten wir uns zu Fuß auf den Weg über Leipziger Straße, Fischerinsel, ganz langsam zu dem Ort wo das Konzert stattfinden sollte, zu dem wir drei Tage vorher schon online Eintrittskarten gebucht hatten: Radialsystem V, ein ehemaliges Abwasser-Pumpwerk an der Spree, ein Stück hinter der Jannowitzbrücke. Wir kamen sehr zeitig an und konnten dort auf der Terrasse an der Spree noch essen: Bratwurst mit Kartoffel- bzw. Nudelsalat aus einer improvisierten Open-Air-Küche. Nach dem Essen warteten wir noch eine ziemlich lange Zeit vor dem Einlass zum Konzert. Ein Drummer bestritt allein die erste Stunde. Eine Stunde Schlagzeugsolo, das worst case-Szenario war eingetreten. Aufgepeppt durch Repeater und Compi-Sounds, die mit Musik im herkömmlichen Sinn wenig zu tun hatten. Trotz gutem Sound tat es aufgrund der kreischenden Geräusche und der tief wummernden Bässe regelrecht weh. Boah. Im zweiten Teil des Konzerts kam die eigentliche Band, die wir erwartet hatten: Kira Kira Gesang, Ingibjörk, Trompete, XXLdottir, Kontrabass. Der Drummer aus dem ersten Teil war auch wieder dabei und regelte den überwiegenden Teil der Dosen-Sounds. Gesamteindruck: vergleichbar mit Niels Petter Molvaer, nur weniger melodisch, dafür wüster, lauter, rhythmischer. Die Sängerin war völlig abgedreht bzw. überkandidelt oder sagen wir einfach affig doof. Viele im Publikum fühlten sich zurecht mehr und mehr vergrault. Anders als das gute Drittel des Publikums, das nach und nach den Kaffee auf hatte und verschwand, blieben wir tapfer bis zuletzt. Den Rückweg nahmen wir fast auf der gleichen Route, kam uns aber schneller vor. Zu Fuß immerhin. An der Potsdamer Straße fanden wir mehrere Läden, die 24 Stunden am Tag auf haben. Beruhigend zu wissen.

Montag, 9. Juli 2012

Bei schönem Wetter holten wir erst etwas zum Frühstück ein und dackelten später los, die Kurfürstenstraße hinab bis in die Stadt. Sie endet im Zentrum des alten Westens, am Rudolf-Breitscheid-Platz, wo immernoch alles mächtig im Umbruch ist. Wir wollen später Vater G. fragen, wozu in Berlin überall diese hellblauen oder rosa-lila Rohre** aus der Erde kommen und nach einigen Metern wieder verschwinden. Fernwärme? Die Turmruine der Kaiser-Wilhelm-Kirche war hinter einem Luxus-Gerüst verschwunden. Dann „bummelten“ wir, und zwar die Straßen rechts und links vom Kurfürstendamm rauf und runter: Uhland, Knesebeck, Bleibtreu, Savigny, Fasanen, Meineke. Ulla Meinecke: Du-bist-die-Tän-ze-rin-der-Nacht. Ecke Savigny/Carmer kehrten wir bei der „dicken Wirtin“ (eigentlich ein Synonym für Touristenfalle) ein: Blattsalat mit gebratenem Butterfisch und Zitronen-Senf-Soße für überraschende 4,80. Dann Schuhgeschäft (nix) und dann das pro Städtereise allfällige Spielzeuggeschäft alten Typs, Kauf von zwei Spieluhren zum Aufdrehen. Vom vielen Kucken und Schleichen wurden wir irgendwann groggy, was man am häufigen Stolpern und fast-vor-ein-Auto-rennen merkt und mussten erst mal daheim eine Pause einlegen. Erst um 19.30 ging es wieder auf die Piste: Diesmal eine Radtour am Landwehrkanal vorbei, entlang der U-Bahn über Kottbusser Tor (Kotti) und Schlesisches Tor, über die Oberbaumbrücke, Warschauer Straße, um ein sehr sehr angesagtes Friedrichhainer Viertel (Berghain) rund um den Boxhagener Platz zu inspizieren. Es ging dort eher spröde und rau zu und der Funke sprang nicht auf uns über. Wir hielten uns dann an die bewährte spätsozialistische Optik vom Frankfurter Tor bis Strausberger Platz und kehrten dort aus tiefer Dankbarkeit (April 2010) bei „Haus Berlin“ ein, wo uns weiland tief ermattet ein sozialistisches Schnitzel serviert wurde, heute nur ein Pils. Es dämmerte schon, als wir den Heimweg antraten, über Jannowitzbrücke, Wall St., Axel Springer, Rudi Dutschke. In der Kochstraße erwischte uns ein heftiger Regenschauer. Wir kalkulierten die aktuelle Lage falsch ein, nahmen vermeintliche Abkürzungen, die sich natürlich als heftige Umwege herausstellten. Klatschnass und durchgefroren erreichten wir um 23.30 unser Dominizil. Die Damen auf der Kurfürstenstraße warteten unter Regenschirmen. Zu Hause tranken wir ein verdünntes Berliner Kindl.

**Update: Vater G waren die Rohre noch nie aufgefallen.

Dienstag, 10. Juli 2012

Entgegen der Ansage blieb das Wetter den ganzen Tag stabil bzw. wurde laufend im volkstümlichen Verständnis „besser“, was den Bauern argwöhnen lässt, denn er braucht unablässig Regen, Regen, nichts als Regen. Neben ausgedehnten Erholungsphasen von dem ungewohnten Rumtigern und durch-den-Stadtverkehr-Radeln unternahmen wir zwei Touren. Erste Tour: Relativ spät los. Gegen 10.00 Uhr waren wir trotzdem die ersten Besucher in der Gemäldegalerie im Kulturforum, wo die Malerei bis 1700 hängt. Wir kauften den 3-Tage-Museumspass und schauten intensiv hin und waren am Ende wieder ziemlich geschlaucht. Dann Planung eines Imbisses: Nicht im Museum, viel zu langweilig. Lieber am Spreeufer gegenüber vom Hauptbahnhof: Leider zu neppig und mit zu nerviger Musikberieselung. Am Humboldthafen sah man Zelte: Gehörten zu einer Baustelle. Bei Sarah Wiener am Museum Hamburger Bahnhof war das Tor zu. Jetzt ein Experiment: Abbiegen und entlang des Humboldt-/Nordhafen-Kanals bis was Schönes kommt. Es kam aber nichts Schönes. In einem reichlich schnöden Viertel hinter der U-Bahn-Station Reinickendorf waren wir die ersten Touristen seit 1972 und kauften in einer der zahllosen türkischen Imbissbuden zwei belegte Brötchen. Vor diesen Buden herrscht stets orientalisches Flair mit bräsig rumlungernden Kerlen, die rauchen und telefonieren. Nicht erwähnt werden in diesen Tagesberichten übrigens die vielen, vielen Fotos, die wir von unserem Eindrücken mitnehmen. Das Brötchen spülten wir mit einer Cola an oben erwähntem Kanal runter. Dabei verbummelten wir den Nikon-Deckel für 27,00 €. Nächste Einkehr: Auf der Spree-Terrasse vom Haus der Kulturen der Welt. Kaffee und Croissant ok, Apfelkuchen für die Mutter leider klitschig. Das Meiste bekamen die Spatzen. Auf dem Rückweg besuchten wir das Musikinstrumentenmuseum an der Ben-Gurion-Straße. Eine Zeitreise in die 1960er Jahre. Das Personal des in-die-Jahre-gekommenen Hauses rannte misstrauisch-feindselig hinter jedem der wenigen Besucher her. Die Atmosphäre war noch schlimmer als bei Folkwangs in Essen. Uns schaffte dieser Besuch mehr als jede andere Anstrengung zuvor. Zu Hause ein ausgedehnter Nachmittagsschlaf, bevor wir zu Tour 2 aufbrachen: Mit dem Fahrrad zunächst zum Matthäikirchplatz. Nachmittags hatten wir da schon mal rumgedrückt und auf einem Plakat die Ankündigung gelesen, dass dort abends ein ganz doller, einen BBC-Award-gewonnen-habender Kinder- und Jugenchor Rutter, Mendelssohn und mehr zum besten geben würde. Tatsächlich vermochte dieser Chor zu überzeugen und zu Tränen rühren. Höhepunkt: Ave Maria, ein Song aus den Kindern des M. Mathieu und Somewhere over the Rainbow, wie die Mutter rausgehört zu haben kundtat. Ohne weiteren Zwischenstop daheim ging es an, mit dem Rad jene sehr sehr angesagte und überragende lesbische Pizzeria aufzusuchen, die uns Nachbarin Marianne W. dringend empfohlen hatte, gleich gegenüber der S-Bahn Station Yorckstraße. Dort fanden wir trotz intensiven Scannens der Umgebung: Nichts. Wir beschlossen, tiefer nach Kreuzberg einzudringen, notfalls die Bergmannstraße rauf und die Gneisenaustraße wieder runter zu suchen. Jedoch fanden wir bereits Ecke Mehringdamm etwas Adäquates, nämlich das echt italienische Restaurant Amici Amici. Nach drei Tisch-Wechseln wegen bescheuerter Tischnachbarn servierte man der Mutter Spaghetti mit Tomaten und Scampi, und uns Tagliatelle mit Pifferlingen. Zuvor waren wir eng eingekeilt gewesen zwischen zwei alles-und-jedes ignorierenden Szene-Mädels und zwei kettenrauchenden kampflustig dreinschauenden Profi-Lesben. Dazu einen Rosé und eine Flasche Pellegrino. Wären wir zur Verdauung noch den Mehringdamm hinuntergefahren, wären wir auch am Platz der Luftbrücke vor dem ehemaligen Flughafen Tempelhof vorbeigekommen. Die Mutter aber sagte: Für heute ist es genug, Robert, und so begaben wir uns noch im Hellen wieder auf den Heimweg. Zwischenhöhepunkt des Heimwegs: Flairhotel Riemers Hofgarten (merken!) und das Brückenhochhaus über der Pallasstraße, welches uns immer an Paris erinnert. Daheim tranken wir ein verdünntes Berliner Pils.

Mittwoch, 11. Juli 2012

Wetter nicht heiß, aber ok. Mal Wolken, mal Bretonik, mal strahlend blauer Himmel. Zum Frühstück kauften wir heute einen Tagesspiegel. Auch nicht schlecht, und genau wie schon gestern die Berliner Zeitung, einiges über dem Niveau der Neuen Westfälischen. Wir kamen sehr spät los. Mit dem Fahrrad zur Museumsinsel. Ungeplant kamen wir am Askanischen Platz vorbei, wo wir feststellten, dass im Hintergrund der malerischen Ruine des Anhalter Bahnhofs irgendwann dieses furchtbar hässliche Hochhaus abgerissen wurde, welches uns in den 1970er-90er Jahren aufgefallen war, weil eine Nixdorf-Leuchtwerbung dranhing. Hier beginnt heute dieses unterkühlt schicke Hotel- und Büroviertel rund um den Axel-Springer-Komplex. Wir ketteten die Räder dreifach gesichert am Kupfergraben-Geländer an und begannen mit dem Alten Museum. Griechen, Römer, Etrusker. Anschließend sofort in das wohl zurecht hochgelobte Neue Museum mit Ägypten. Insgesamt fast 5 Stunden Museumsaufenthalt. Beim Fotografieren der Nofretete aus 20m Entfernung wurden wir wieder angeraunzt. Geschlaucht verzichteten wir auf das Pergamon und schlichen durch das Viertel um den Hackeschen Markt, Sophienstraße, Präsidentenstraße. Die Restaurants auf dem Hackeschen Markt schienen uns überteuert und bereits im touristischen Mainstream unterzugehen. Ein Türsteher lockte die Passanten mit den Worten „Wir essen heute Abend gegrillte Steaks und Tapas“. Was er wohl morgen erzählt. Unzufrieden drehten wir ab und landeten mal wieder beim Italiener. Nicht so gut wie am Abend zuvor, aber halbwegs ok. Attraktion war der Blick in die Präsidentenstraße, wo permanent bis zu 4 Straßenbahnen vom Typ Tatra (und auch neuere Modelle) eine kurze Pause einlegten und dann eine neue Runde Richtung Zingster Straße anfingen. Nach einer kurzen Visite am Gendarmenmarkt (Baustelle, ungemütlich, zugig, kalt, leergefegt) verfuhren wir uns mal wieder, weil wir zu sehr einem Süd-Sog folgen, wo es eher westwärts gehen sollte. Nach kurzer Erholung zuhause verließen wir das Haus noch mal auf ein Eis von der Potsdamer Straße mit Gang bis zum Landwehrkanal und Blick in ein paar Hinterhöfe. Zu Hause tranken wir noch ein verdünntes Berliner Bügerbräu (Ost).

Donnerstag, 12. Juli 2012

Das Wetter schwächelte. Das Loskommen wird täglich später – dabei hatten wir heute ein ambitioniertes Programm vor uns : Besuch des Erholungsparks (hinter Marzahn) mit den „Gärten der Welt“. Um 12.30 starteten wir und nahmen die kürzest mögliche Strecke. Potsdamer Platz, Rotes Rathaus, Landsberger Allee immer geradeaus. Das schwächelnde Wetter blieb kraftlos grau in grau. Wir hatten eine Gewitterfront im Rücken, die uns langsam einholte. Die Strecke ähnelte einer Gletscherfahrt durch das Nordmeer, denn rundum war alles öd und leer, back- und steuerbord näherten sich immer wieder eisige Klötze in Form von Plattenbaukomplexen. Über Kilometer hinweg kein einziges Wohnhaus im engeren Sinne. Ab und zu waren seelenlose große neuere „Center“ dazwischen gesetzt. Nach vier Fünfteln des Wegs hatten wir jegliche Lust verloren und waren kurz davor, die Sinnfrage zu stellen, doch innere Durchhalte-Instinkte bewahrten uns vor der Umkehr. Das Gewitter war nun über uns hinweg, es regnete, für die Kamera war kein adäquater Schutz zur Hand, nur eine hauchdünne, bereits gerissene Salattüte, die wir unter dem Sattel gefunden hatten. Schutz, jedenfalls mehr als gar nichts, bot ein kleines Bäumchen unter dem wir nur halb so nass wurden wie auf freier Strecke. Auch der Radstreifen war zu Ende, und die Straße wurde zur unerklärten Kraftfahrstraße. Kurz vor Hellersdorf das erste Schild und neue Hoffnung. An der Kasse des Parks dachten wir noch, wir wären seit Wochen die ersten Besucher, denn die Kassenfrau musste erst telefonisch nachfragen, ob es eine Bewirtung gäbe (z.B. Coffee to go). Antwort: vielleicht. Der Park bot einen Rundgang mit separaten Spezialgärten: Orient, Bali, Japan, Christlich, Chinesisch. Wir fingen uns einen Anraunzer wegen betreten der Kiesfläche ein. Kurz vor Verlassen des Geländes mussten wir noch mal eine überdachte Zwangspause einlegen. Obwohl der Rückweg mit 19 km zwei km länger war als hin, kam er uns kürzer vor. Ab der belebten und beliebten Frankfurter Allee (im Gegensatz zur eher toten Fortsetzung ab Frankfurter Tor als berühmte und in vielen Architektur-Essays verklärte Karl-Marx-Allee) schien sogar die Sonne. Wir vertieften noch mal die Eindrücke von Dienstag auf dem Abschnitt vom Schlesi zum Kotti. Nach einer Ruhepause gönnten wir uns noch mal einen 8-km Fußmarsch über Ku-Damm bis Bleibtreu mit dem Höhepunkt einer „scharfen“ „Bio-Currywurst ohne Darm vom Havelländer Apfelschwein“ bei jener just in dieser Woche mit viel Tamtam und Presseresonanz eröffneten ersten Filiale der – für uns neu – weltberühmten Wurstbude Curry36 vom Mehringdamm – jetzt auch am Bahnhof Zoo. Mit dem bei uns ebenfalls „Currywurst“ genannten Produkt hat das wenig zu tun. Man kann sagen, sie verstehen halt nichts davon. Wir beendeten den Abend mit einem für 1,20 beim Spätkauf an der Potsdamer Straße gekauften und mit Wasser verdünnten Berliner Kindl.

Freitag, 13. Juli 2013

Mail-Anfragen aus der Heimat, ob es denn in Berlin jetzt auch endlich regnen würde, beantworteten wir standardmäßig mit Nein, obwohl es schon ganz schön geschüttet hat und lieferten für diesen frisch entstehenden Mythos folgende Begründung mit:

Brandenburg mit seiner Enklave Berlin, ist klimatisch geprägt vom russisch-baltisch-eurasischen Landklima mit knackenkalten Wintern sowie vor allem heißen, trockenen Sommern, sodass die Berliner Bauern natürlich unter extremer Trockenheit leiden und eine Dürrekatastrophe ungeahnten Ausmaßes zur ständigen Erwartungshaltung gehört.

Aus Trotz beschlossen wir für heute eine Landpartie. Zum ersten mal holten wir das Auto raus und fuhren nach Saatwinkel in der Tegeler Südsee. Es fisselte und die Fahrräder blieben zunächst im Auto, bis es kurze Zeit später aufhören würde. Wir erkundeten die Umgebung und fanden 3 Kneipen, davon eine geschlossen und die dritte verlockend aufgrund ihrer Pfifferlingskarte. Nur hatten wir gerade gefrühstückt und wollten die Aussicht auf Pfifferlinge noch eine Weile schmoren lassen. Saatwinkel wäre als Radtouren- Start-/Ziel ideal gewesen, bot aber für Fußgänger keine Möglichkeiten. Eine kleinere Wanderung am Ufer des Tegeler Sees in Höhe des (ehemaligen ?) Borsig oder Babcock-Geländes verschärfte die aufkommende allgemeine Zweifelshaltung. Es war einsam, trist und verschlafen. Noch eine Biegung und noch ein Uferabschnitt, es zog sich. Nach Studium der Landkarte berechneten wir messerscharf, dass „Tegelerort“ auf der Landspitze zwischen See und Havel, südlich von Konradshöhe (alles noch zu Berlin gehörend) ein Epizentrum städtischen Flairs mit Unmengen von Cafés und günstigen Restaurants sein müsste. In Wirklichkeit stellte es sich als eine verschlafene, seit langem stagnierende Siedlung für Nicht-ganz-Reiche mit sehr holperigem Pflaster heraus. Die Nicht-ganz-Reichen Rentner saßen wohl alle depressiv-apathisch in ihren 50er-Jahre-Wintergärten und warteten auf das Frühjahr. Wir betraten mutig die einzige, im Gestrüpp versteckte, Ausflugskneipe mit dem Stichwort „Pfifferlinge“ auf der Tafel, aber die muffig-stechende Atmosphäre und heruntergekommenes Ambiente trieben uns sofort wieder raus. Ganz hinten rum, also über Hennigsdorf im Landkreis OHV und Spandau, fuhren wir ohne Einkehr mit vielen flüchtigen Eindrücken heim. Vom Havelbäcker auf der Potsdamer Straße holten wir noch ein Stück Kuchen, was sich später als strategisch falsch herausstellte.

Der Abend sollte uns nach Kreuzberg führen, zur Ausgeh-Meile Bergmannstraße. Erstmals in diesem Urlaub benutzen wir die U-Bahn mit einem 3-Stationen-Kurzstrecken-Ticket für 1,40. Wir tiegerten den boulevardesken Mehringdamm rauf Richtung Platz der Luftbrücke und schwenkten in die Bergmannstraße. Dort hatten wir die Auswahl zwischen (in der Reihenfolge der prozentualen Anteile aufgeführt) Italienern, Türken, Spaniern, Vietnamesen und Österreichern. In der Mitte des Straßenverlaufs tat sich auch die erstmals 1988 gesichtete Markthalle auf, mittlerweile designerisch sehr aufgepeppt. Wir entschieden uns für das echte Wiener Schnitzel für 18,50 €. Durch den authentisch und belebt daherkommenden, aber voll belegten Gastraum wurden wir in ein diskretes Hinterstübchen geleitet. Am Nebentisch saßen zwei ältere Herren, die uns keines Blickes würdigten und sich in englisch unterhielten. Vermutlich Botschaftsangehörige bzw. Geheimdienstleute. Einer von beiden schien kein „Native“ zu sein, eventuell ein gut Englisch-sprechender Österreicher. Das Schnitzel erwies sich für uns als echte Herausforderung. Hatten wir von Klodeckel-großen Schnitzeln bisher nur als sagenumwobenen Mythen gehört (Gaststätte Amedieck in Lichtenau-Ebbinghausen), so lagen sie jetzt vor uns, die Tellerränder überdeckend. Unter ihnen versteckte sich der Rest: Kartoffelsalat, Gurken, Tomaten, Zitronen. Die Mineralwasserflasche der österreichischen Marke Römerquelle besaß einen Schraubverschluss dreifachen Durchmessers. Nun begann ein tapferes Angst-Essen: Angst, man könnte die Fleischlappen nicht schaffen. Und so kam es, dass der „Herr Ober“ später nachfragen musste, ob er die Reste einpacken sollte. Um nicht zu platzen, verzichteten wir auf Pallatschinken (den Tommies oder Amis am Nebentisch als „a heavy kind of Pancake“ beschrieben) und liefen die 5 km zu Fuß nach Hause. Dort teilten wir uns zur Reanimation eine halbe Flasche verdünntes Berliner Kindl.

Samstag, 14. Juli 2012 (Nationalfeiertag en France, Todestag von ISE)

Der bisher negierte Regen näherte sich einem Stadium, welches zumindest kurzfristig beruhigend auf die Berliner Bauernschaft wirken gedurft haben könnte. Die größte Gefahr, dass sich ganze Feldfluren selbst entzündeten, oder dass geräumige Scheunen in den vor Dürre aufklaffenden Erdspalten verschwänden, schien für ein paar Stunden oder sogar Tage gebannt. Vor der Haustür auf der Kurfürstenstraße kam selbst das Geschäft mit der Liebe nicht so recht in Gang. Das muss aber nicht am Wetter liegen, sondern an den zeitlichen Umständen – Samstag Morgen 8.00 Uhr verschiebt sich das Business zeitlich etwas. Nur die Araber und Russen saßen wie immer vor den Cafés, rauchten und telefonierten oder quatschen mit weiteren Arabern und Russen, die vor ihren offenen Autotüren standen.

Gegen 13.00 Uhr klarte es auf. Wir tigerten zu Fuß zum Potsdamer Platz, den im ganzen Urlaub komplett zu vermeiden wir uns extra vorgenommen hatten. Auf einem kleinen Umweg über das Kulturforum kauften wir ein neulich nicht zu kaufen getrautes Buch. In den Potsdamer-Platz-Arkaden fraßen wir ein Eis der gehobenen Kategorie – Schoko-Chilli, Kirsch-Meersalz oder ähnliches und probierten erfolglos Stadtstiefel an. Als die Sonne durchkam, brachen wir ab und kehrten schnell heim, um die kaum noch für realistisch gehaltene Radtour rund um Köpenick zu starten. Zunächst mit dem Auto bis S-Bahn Schöneweide, dann mit dem Rad durch das revitalisierte Gebiet (Technische Hochschule) Oberspree nach Köpenick. Auf der Spree war eine Prozession von Ausflugsschiffen unterwegs mit lautstarker Techno-Musik und tanzenden Massen an Bord. Dem allgemeinen Aufsehen nach, dass diese Schiffe erzeugten, war das Phänomen wohl noch nicht alltäglich. Köpenick City ließen wir unbeachtet, drehten nur eine kurze Runde über den Schlosshof, wo das einladend wirkende Café/Restaurant sich leider auf eine geschlossene Veranstaltung vorbereitete. Weiter zum Müggelsee. Die Müggelspree wurde  dabei nicht per Brücke überquert, sondern per Tunnel drunter her! Nach einem Coffee-to-go verdunkelte sich der Himmel und wir traten, nachdem wir noch einen schnellen Blick auf eine vom Roten Kreuz gerettete kollabierte Omma werfen konnten, besorgt die Heimfahrt an, selbstverständlich auf einem anderen Weg als hin. Angesichts einer Kaiser’s-Filiale war es Zeit, an die Mitbringsel für zu Hause zu denken. Allem voran die legendäre Spreewaldgurke in der Dose, die wir noch niemals in einem Geschäft gesichtet hatten, so auch heute nicht. Blieb noch das Bürgerbräu-Rotkehlchen, eine Bierspezialität, bei der man sich beim Trinken wahrscheinlich schütteln muss und Berliner Kindl Export, nicht weniger unbekömmlich.

Nach kurzer Pause mussten wir nochmal raus um einen bestimmten Programmpunkt abzuhaken: Das Abendessen. Es sollte nach dem XXL-Wiener Schnitzel gestern zur Abwechslung mal was Preiswertes sein, z.B. eine Currywurst. Die Berliner haben zur Currywurst ein kompliziertes und überzogenes Verhältnis. Immer diese Frage „mit oder ohne Darm?“ Käme bei uns keiner drauf. Sodann nie ohne den Zusatz „original Berliner“. Und wenn das Ding noch so i-Bäh daherkommt. Es gibt gar nicht viele Wurstbuden, im Gegensatz zu Dönerbuden. Ein wahres Faszinosum: ganze Stadtviertel bestehen nur aus Dönerbuden ! ( aufgelockert durch Sonnenstudios, Muckibuden, Türk-Reisebüros und Car-HiFi) Wir tigerten mit einem kleinen Umweg im Prinzip die Potsdamer südwärts bis Kaiser-Wilhelm-Platz, kamen an 16 Dönerbuden vorbei, obwohl dies noch kein richtiges Dönerviertel war, aber die klassische Pommesbude mit Currywurst im Angebot tauchte erst auf, als wir unmittelbar wieder vor unserer Haustür Ecke Potsdamer/Kurfürsten standen. Sie hieß Curry 124, was auf ihre Öffnungszeiten hinweisen sollte: Immer auf. 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Die Bude hatte noch ein 2 Quadratmeter großes Hinterstübchen, das nur ab 18 Jahren betreten werden durfte, aber anscheinend die eigentliche Attraktion der Institution war. Leute von der Straße stürmten ohne Ansage sofort in dieses Hinterstübchen. Für uns ein Mysterium – vermutlich die Auffahrt zu einem Puff.

Sonntag, 15. Juli 2012

Um neun Uhr trauten wir uns, bei Hoppe anzurufen und nach den Check-Out-Gepflogenheiten zu fragen. Hoppe lag noch oder schon im Bett und riet, den Schlüssel in den Briefkasten der Agentur zu werfen, was wir taten. So kamen wir drumrum, das zerdepperte Weinglas zu melden. Einzige bemerkenswerte Begebenheit auf der Rückreise war ein Coffee to go bei Marienborn bei geöffneten Türen im Auto. Wir waren um 14.00 Uhr daheim und holten bei Benslips noch ein schönes Stück Beerdigungskuchen.