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Unterwegs

2015 · Sassnitz zum Zweiten

By 9. November 2015No Comments
Urlaub 7.-14. November 2015

Prolog

Wir hatten Sassnitz in guter Erinnerung: Lage, Maritimik, Landschaft und Ortsbild stimmten. Eine schöne und bezahlbare Wohnung war nach kurzer Suche gefunden. Die Projekte konnten unterbrochen werden und die Jahreszeit war zwar schon deutlich fortgeschritten, aber von der ewigen Nacht um den 21. Dezember noch weit entfernt.

Samstag, 7. November 2015

Reise-Ei

Reise-Ei

Käsebrötchen Old Amsterdam, Reise-Ei, Reisesalz, Coffee-to-go Segafreddo

Käsebrötchen Old Amsterdam, Reise-Ei, Reisesalz, Coffee-to-go Segafreddo

Der angepeilte Abreisezeitpunkt 8.00 Uhr wurde nur eine knappe halbe Stunde überschritten. Auch ETA 15.00 Uhr konnte fast eingehalten werden. Erster Höhepunkt des Urlaubs: Ein Coffee-to-go mit rituell-obligatorischem dunkelgrünem Reise-Ei und Käsebrötchen „Old Amsterdam“ kurz vor Lübeck. In Rügen überraschte uns sofort der demnächst einzuweihende Neubau der B96.n neben der alten B96. Leider wurden dafür die schönen Bahn-Bauten aus Kaisers Zeiten entlang der alten 96 bis auf eines geopfert.

Bahn bei Borchtitz

Bahn bei Borchtitz

Reste Preußischer Bahnarchitektur entlang der B96

Reste Preußischer Bahnarchitektur entlang der B96

Hellwach ohne „geblitzt“ zu werden, kamen wir bis Sassnitz. Die im Gästebuch viel gepriesene Frau Krull erschien nicht selbst, sondern schickte ihren Neffen oder Halbcousin, der die Übergabe zum ersten Mal machte und erfreulicherweise vergaß, die angekündigte Kaution zu kassieren. Wir überreichten ihm zum Dank zwei Flaschen Paderborner Pils und sagten unseren Spruch auf. Unsere Pfälzer Flurnachbarn zogen, nach angeblich 4-wöchigem Aufenthalt gerade aus und packten ihren Opel Frontara, aber nicht das erste Modell „Have Fun“, sondern den dunkelgrünen Nachfolger „Wild und Hund“. Es gelang uns nicht, ihre Freundschaft und Vertrauen mit aufmunternden Sprüchen zu gewinnen. Dann eben nicht, wir werden sie nie wieder sehen. Wie so oft nach langer Fahrt, fiel uns, auch angesichts der überraschend früh einsetzenden Dämmerung bei sogenanntem schlechten Wetter (in Wahrheit gutes Wetter) nicht mehr viel ein. Ein Erkundungsgang zum Hafen runter, um die sofort ins Auge fallenden Veränderungen gegenüber von vor 7 Jahren festzustellen:

  • Im Turmbereich des alten Fischkombinats war die Kaffeerösterei mit Café verschwunden. Ein Schild am Eingang verkündete: „Keine öffentliche Toilette, keine Bowlingbahn, keine Kaffeerösterei !“
  • Verschwindend kleine Reste des einst gigantischen Fischkombinats ist nun dreigeteilt:
    • Hohmann Feinkost Fisch
    • Kutterfisch
    • Rügenfisch
  • Am Pier nur noch 1 Kutter, auf der Rampe nur noch wenige Fischkisten. Traurige Entwicklung.
  • In den Lagerhallen rechte Straßenseite, wo bereits 2003 Kneipen und Toure-Bedarf eingezogen waren, hatte nur eine Kneipe auf: Portofino (2008 = Brasil), alles andere war geschlossen. Auf ganz Sassnitz bezogen, ist die Gastronomie nicht in dem Maß zurückgegangen, wie die nicht-touristische Wirtschaft.
  • Das Schiffs-/Fährterminal ist jetzt Museum. Wir können noch nicht abschätzen, ob es vor oder nach 1989 entstanden war.
  • Im „Stadthafen“ liegen kaum noch Schiffe. Damals gab es noch ein paar Fischerboote, Technikschiffe, Bundesmarine und eine stillgelegte Fähre von Scandlines. Alles weg.
  • Viele Straßen, Wege und Brücken sind erfreulicherweise „gemacht“ worden, das Ortsbild, vor allem Richtung Alt-Sassnitz, hat sich zum Vorteil entwickelt. Verschlechtert ist der Teil, der zu DDR-Zeiten das Zentrum bildete, also zwischen Bahnhof und Stralsunder Straße.
Alt-Sassnitz am Spätnachmittag

Alt-Sassnitz am Spätnachmittag

Alt-Sassnitz am Spätnachmittag

Alt-Sassnitz am Spätnachmittag

Sassnitz Stadthafen am Nachmittag

Sassnitz Stadthafen am Nachmittag

Abends gab es, weil es der Samstags-Tradition entspricht, einen Salat. Draußen heulte der Sturm und der Regen schlug gegen das Fenster. Wir beendeten den Abend mit etwas Spielen auf dem Keyboard.

Sonntag, 8. November 2015

Bewertung der Wohnung:

Pro’s

  • Groß, genügend Räume
  • Ausstattung exzellent, vollständig, perfekt
  • Sauber, neuwertig, funktionierend
  • Blick über den Hafen bis Göhren (12 Seemeilen)
  • Ausgeklügelte, komfortable Elektroinstallation
  • Fußbodenheizung
  • Beleuchtung ok

Con’s (Meckern auf hohem Niveau, nicht wirklich relevant)

  • Gesamtplanung wohl ohne Innen-Architekt, sondern im Kräfte-Spiel zwischen Finanzrahmen, Bauherren-Wünschen und Handwerksmeister-Ideen entstanden.
  • Betten zu weich, Modell „hässliches Drahtgestell“
  • Stuck und barocke Zierlemente gehören nicht in einen Neubau von 2010.
  • Voluminöse, vier-komponentige und Höhen-arme, Bass-lastige Stereo-Anlage, vermutlich mehr als 30 Jahre alt und dem Besitzer offensichtlich zu schade zum Wegschmeißen, beschallt alle Räume. Wir fanden heraus, wie man das abschalten konnte. Zum Glück ließ sich per Cinch-Kabel unser Brett-Computer anschließen.
  • Der Riesen-Sony-Fernseher hat ein mittelmäßiges Bild (fehlendes Schwarz).
Die Residenz mit elektrischem Kaminfeuer

Die Residenz mit elektrischem Kaminfeuer

Residenz, Blick vom Balkon

Residenz, Blick vom Balkon

Residenz, Blick vom Balkon

Residenz, Blick vom Balkon

Strahlend blauer Himmel den ganzen Tag, nachmittags golden. Bei Peters, dem beherrschenden Insel-Bäcker im industriellen Stil, kaufen wir Brötchen. Mittags eine Runde durch den Hafen mit Zeitungskauf und Einkehr bei Gumpfen. Der Pastor sprach: Lasset uns gumpfen. Bzw. So gehet hin und gumpfet. Sie sah gut aus, und wir gingen in die Falle, zum wiederholten und nun hoffentlich letzten Mal: die Sanddorntorte. Ja, sie schmeckte irgendwie nach Torte, aber keinesfalls nach Sanddorn oder sonst irgendwas. Das Bier zum Kuchen riss es wieder etwas raus. Am anderen Ende des Stadthafens liegt die Produktion von Rügen-Fisch, einem weiteren Nachfolger des alten Kombinats. Sie hatten ein eigenes Outlet mit Sitzgelegenheit, leider sonntags geschlossen, und so setzten wir den Besuch dort auf die To-do-Liste. Brathering mit K-Salat für 3,80 ! Wahnsinn. Nach einer gewissen Mittagsruhezeit wollten wir die „Feuersteinfelder“ suchen und besuchen, zwischen Mukran und Prora, sodass wir zunächst das Auto bemühen mussten. Bei Ankunft am Feuersteinfelderparkplatz war es bereits 15.00 Uhr und wir disponierten um zu einer spontanen Wanderung entlang des kleinen Jasmunder Boddens nach Lietzow, wo damals, 2003 noch ein echter Bahnwärter von Hand die Schranken rauf und runter kurbelte. Es hieß 4,5 Km einfache Strecke. Nach ca. 3 Km wurde es gebirgig bis unwegsam, nahezu gefährlich. Schlimm war, dass es nun doch stark dämmerte, und wir hatten den Hinweg erst zu ⅔ geschafft. Parole: Umkehren ! Mit der gewonnenen Zeit gönnten wir uns nun doch den Abstecher – angeblich 900 Meter – zu den Feuersteinfeldern. Es war sehr einsam und von Beschilderung keine Spur. Die Dunkelheit und Unübersichtlichkeit des uns unbekannten Geländes ließ uns nicht erahnen, wie gigantisch diese Felder in Wirklichkeit sind (wie wir später in Google Maps feststellten). Was wir sahen, war nicht mehr als eine vom Lastwaren gekippte Ladung Kies. Den Rückweg zum Parkplatz schlugen wir schicksalhafterweise in die entgegengesetzte Richtung ein. Nach einem Kilometer merkten wir, dass wir nach Süden in Richtung Prora liefen und kehrten um. Im Laufschritt gegen die Dunkelheit. Irgendwann war wieder unser Auto, die alte durchgelegene Matratze, in Sicht.

Waldweg Feuersteinfelder abends

Waldweg Feuersteinfelder abends

Alt-Sassnitz

Alt-Sassnitz

DDR-Baracke mit Schornstein

DDR-Baracke mit Schornstein

Konzertmuschel Strandpromenade Sassnitz

Konzertmuschel Strandpromenade Sassnitz

Kutterfisch-Gebäude

Kutterfisch-Gebäude

Kutterfisch-Gebäude mit Fischkisten

Kutterfisch-Gebäude mit Fischkisten

Altes Fischkombinat, Gastronomie, Stadthafen Sassnitz

Altes Fischkombinat, Gastronomie, Stadthafen Sassnitz

ehem. Hafenbahnhof Sassnitz, Café Peters

ehem. Hafenbahnhof Sassnitz, Café Peters

Rügenfisch Flagship Store

Rügenfisch Flagship Store Restaurant

Ruine neben Rügenfisch Konzernzentrale

Ruine neben Rügenfisch Konzernzentrale

Altes Fischkombinat Stadthafen Sassnitz

Altes Fischkombinat Stadthafen Sassnitz

Früheres Fährterminal Stadthafen Sassnitz

Früheres Fährterminal Stadthafen Sassnitz

Seestraße Sassnitz

Seestraße Sassnitz

Residenz, Blick vom Balkon auf altes Fischkombinat

Residenz, Blick vom Balkon auf altes Fischkombinat

Residenz, Blick vom Balkon, Sonnenaufgang

Residenz, Blick vom Balkon, Sonnenaufgang

Später hatte keiner Lust zu kochen, und so liefen wir wieder ins Hafengebiet. Es war sehr dunkel und sehr einsam, 18.00 Uhr erschien wie 23.00 Uhr. Nur das Portofino (früher Brasil) hatte auf, und diese Monopolstellung bescherte ihnen die Position, sich bei der Qualität des Essens keine Mühe geben zu müssen. Wir bestellten Verschiedenes, aber bekamen beide einen Teller voll mit identischen Merkmalen: Grau, verzwiebelt, pampig. Dazu passte eine lieblose Einrichtung mit hohen Kojen aus geflochtenem braunen Kunstleder. Am Nebentisch würgte eine ältere Vierertruppe an gigantischen Pizzen und ebenso großen Nudelklumpen wie wir. Aufgeschnappte Gesprächsfetzen: „Erzdiözese … kann keiner aussprechen … was soll das überhaupt sein …” Wir standen kurz davor, eine Grundsatzdiskussion anzufangen. Nun ja.

Zu den wirklich unverzichtbaren Ansprüchen im Urlaub gehört ein funktionierender Netzzugang. Ja, das W-Lan funktioniert: Auf dem Brettcomputer, auf dem Klapprechner, auf dem Android-Telefon, aber nicht auf dem Heimrechner. Ausgerechnet. Ständig brach die Verbindung ab. Wir beschlossen, die Verbindung per Ethernet-Kabel direkt am Router auszuprobieren und siehe da: ging. Nun wollten wir Motag in einem Baumarkt ein 10-Meter Kabel besorgen. Zuvor war der Versuchsaufbau etwas schief gelaufen, weil wir den Heimrechner auf einen gepolsterten Stuhl gestellt hatten, von wo er abrutschte und das Glas-Panel zerbarst. Er geht zwar noch, sieht aber nicht mehr vorzeigbar aus. In der oberen rechten Ecke kuckt schon die blanke Elektronik durch. Sehr, sehr schade. Bei Steinhövels hätte es in vergleichbarer Lage frei nach Malmsheimer geheißen: „Schock schwere Not“.

Montag, 9. November 2015, Gedenktag für bedeutende geschichtliche Ereignisse

Das Wetter: gut. Daher wurde der Baumarkt-Besuch auf den dunklen Teil des Nachmittags verschoben und der Vormittag für eine Wanderung ab Haustür zum Königstuhl, der Rügen-Sehenswürdigkeit überhaupt, genutzt. Welt-Naturerbe. Nationalpark. Leider hatte das iPhone mit der GPS-App nicht mehr genug Saft, aber es hätte sich gelohnt, allein zur Messung der erwanderten Höhenmeter. Der Buchenwald bot eindrucksvolle Bilder. Auf den ersten 7 der 8 Kilometer sahen wir keine 10 Leute, erst in der Nähe der Sehenswürdigkeit wurden es mehr und das Grüßen hörte auf. Gefühlt waren es 15 Kilometer. Daher kam eine Rückwanderung zu Fuß nicht mehr in Betracht. Auch die Mutter hatte nichts gegen ein Busfahrt einzuwenden. Nach ausgiebigem Studium des mitgenommenen Prospekts kamen wir zu der Einschätzung, dass 8,50 € Eintritt in das Nationalpark-Besucherzentrum mit Ausstellung, Kino, Erlebnis-Raum,Terrasse, Bistro, Wiese der Romantik und als Höhepunkt das Erklettern der Königstuhl-Aussichtsplattform weggeworfenes Geld bedeuteten. Wir warteten 45 Minuten auf den ratternden riesigen Bus Richtung Sassnitz, in welchem außer uns noch ein Giftzwerg, der uns zuvor aufgefallen war, mitfuhr. Nach einer kurzen Pause daheim fuhren wir zum Baumarkt und kauften ein verdächtig billiges Ethernet CAT5-Kabel, welches sich zu Hause nach Öffnen der Verpackung als nicht funktionierend erwies.

Bildergalerie: Hochuferweg im Nationalpark Jasmund, Welt-Naturerbe. Kreideküste und Buchenwald
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Dienstag, 10. November

Am Vormittag fiel die Entscheidung zu einem Bergen-auf-Rügen-Besuch. Unterwegs tauschten wir das unbrauchbare Ethernet-Kabel gegen ein teureres um, was trotz geöffneter Verpackung möglich war, dank der sozialistischen Rest-Mentalität des Hagebau-Personals. Das Wetter verschlechterte sich. Bei Böigkeit und Regen rannten wir in Bergen ein paar der Altstadt-Straßen und Gassen rauf und runter, aber nichts lud überzeugend zur Einkehr oder zum Kauf ein. Drei Etablissements besuchten wir trotzdem: die gotische Kirche mit mittelalterlichen Ausmalungen (Fotografieren erlaubt, Publikation im Internet verboten). Ein Buchhandlung mit fast keinen Büchern. Dort kauften wir aus Erbarmen eine Rügen-Wanderkarte, und zwar 1:50.000 aus dem Verlag Grünes Herz. Von deren Karten besitzen wir schon zwei, und sie sind uns wegen ihrer tollen zeichnerischen und kartografischen Qualität schon vor Jahren aufgefallen, erhältlich nur von ausgesuchten Gebieten an der Ostsee. Sie gehören zum Besten, was es in der (noch) im Handel erhältlichen Kartografie überhaupt gibt. Selbst wenn man sich danach gar nicht orientieren will, sollte man sie besitzen, aus Prinzip, weil sie zu den Basics gehören, die das Leben schön machen (wie z.B. eine Fender Stratocaster oder ein iPhone, jedoch keine Jack-Wolfskin-Jacke). Der Verlagsinhaber Dr. Lutz Gebhardt scheint ein Kartomane zu sein, ein Enthusiast, der vieles selber macht. Etablissement drei war ein dm-Drogeriemarkt.

Zweite Station sollte Lauterbach bei Putbus werden. Das Wetter war nicht besser geworden. Lauterbach war von einer müde-trüben Stimmung überlagert. Und selbstverständlich gar nichts los. Wir erkundeten die Schauplätze unseres Urlaubs von 2003: Das Haus mit der Ferienwohnung, die inzwischen zugebaute Umgebung, der verlassene Hafen, um die Ecke das Gebiet „Im Jaich“ wo noch mehr Ferienhäuser – diesmal als Pfahlbauten im Wasser – hinzugekommen  waren. Das Jaich-Empfangsgebäude war geschlossen. Auf dem Gelände der Tischlerei war ein Komplex mit Bootsbau, Klamotten- und Segelbedarfsladen sowie Restaurant entstanden. Wir entschieden uns für das Restaurant, orderten Fisch und erlebten die zweite gastronomische Enttäuschung. a) zu teuer, b) schmeckte der Spinat nach Chlor. Der Fisch war aber ok. Wir trauten uns sogar, das auf die Frage „War alles in Ordnung?“ zu erwähnen, und das Fräulein fragte, ob wir Knoblauch meinen. Nein, Chlor !

Sellin

Sellin

Sellin

Sellin

Alte Allee bei Nadelitz

Alte Allee bei Nadelitz

Bahngelände bei Lauterbach

Bahngelände bei Lauterbach

Bahngelände bei Lauterbach

Bahngelände bei Lauterbach

Pfahlbauten-Ferienhäuser „Im Jaich“ Lauterbach

Pfahlbauten-Ferienhäuser „Im Jaich“ Lauterbach

Service-/Bürogebäude „Im Jaich“ Lauterbach

Service-/Bürogebäude „Im Jaich“ Lauterbach

Hafenmole Lauterbach

Hafenmole Lauterbach

Im Zuge dieser Revival-Tour musste nun folgerichtig Sellin angesteuert werden, und zwar über die Vorzeige-Alleen zwischen Vilmnitz und Lancken-Granitz, mit sponatanem Foto-Stop. In Sellin war erschreckend nichts los, was wir hier nicht so erwartet hätten. Auch hier suchten wir die alten Stätten auf, und die Stimmung blieb depressiv.

Abends nun stellten wir befriedigt fest, dass wenigstens das neue Ethernet-Kabel diesmal funktionierte. Außerdem war inzwischen Helmut Schmidt gestorben.

Mittwoch, 11. November, St. Martin

Die Ostseezeitung berichtet nicht triefend vor Pathos, Ehrfurcht und Trauer, sondern wohlwollend-kritisch-humorvoll über Helmut Schmidt. Das Wetter: grau und feucht, teilweise sehr diesig. Das Flottendienstboot (Aufklärer) A50 Alster der Bundesmarine, welches zwei Tage in der Bucht vor Sassnitz „in Range“ war, ist heute verschwunden. Wir hatten noch keinen echten Strandspaziergang und der sollte es gleich sein. Wir entschieden uns für den schmalen dreckigen Strand zwischen Neu-Mukran und Prora. Auf dem Hinweg suchten wir intensiv nach sog. Hühnergöttern (Feuerstein mit Löchern) und selbstverständlich nach Bernstein, von dem wir heute aber keine nennenswerten Mengen fanden. Prora erreichten wir nach 75 Minuten, wo der nördlichste Block zur funktionierenden Jugendherberge revitalisiert worden war – im November natürlich geschlossen. Das Handy war im Auto zurückgeblieben und wir konnten nicht die Lokalität der nächsten Bushaltestelle peilen – daher ging der Weg zurück wieder zu Fuß am Strand entlang, nur deutlich schneller, weil die Bernstein-Suche als nicht erfolgversprechend unterblieb. Unvermeidliche Blicke Richtung Mukran brachten die Gewissheit, dass in diesem großen Hafen mit gigantischen Hinterland-Logistik-Anlagen praktisch absolut nichts los ist. Ein paar Service- und Arbeitsschiffe, die Stena-Fähre nach Trelleborg, Schluss.

Nächste Station: Lietzow am Zusammenstoß von großem und kleinem Jasmunder Bodden. Vor Jahren – uns kommt es vor als wäre es weit vor 2003 gewesen – hatten wir hier das am Sonntag bereits erwähnte Phänomen des bemannten Bahnübergangs als einschneidendes Erlebnis in Erinnerung, und wir wollten nun endgültig wissen, was daraus geworden ist. Die Bahn gibt es noch, einen – inzwischen automatisierten – Bahnübergang auch, sogar noch ein paar alte Bahnbauten, aber der Gesamteindruck hat seine Verloren- Vergessen- und Verwunschenheit verloren. Ein paar Profi-Angler fachsimpelten über ihre Angelgeräte. Wir wanderten den Berg hinauf, um näher an das bereits von weitem sichtbare Schloss Liechtenstein zu kommen. Aber das Gelände war so privat wie wir unerwünscht.

Nun zum dritten Tagesordnungspunkt: Einkehr im Flagship-Store der Rügenfisch-Konzernzentrale am nördlichen Ende des Sassnitzer Stadthafens. Ein Herzenswunsch, der, seit wir Rügenfisch 2003 zum ersten mal gewahrten, unerfüllt blieb. Wir orderten zweimal das Top-Gericht: Brathering mit Kartoffelsalat. Beides war weder warm (hätte einen auch gewundert) noch hatte man sich mit Porzellan-Geschirr und ungenannten Zutaten wie Petersilie oder Remulade aufgehalten. Die Cola wurde im Plastikbecher ausgehändigt (nicht serviert).  Dafür versöhnte der Preis: 3,80 € pro Ladung. Vor der Tür hielten jede Menge Autos: Frauen holten ihre Rügenfisch-Männer von der Schicht ab. Nebenan wartete ein Brachgelände im Alt-Preußischen Baustil auf Umnutzung, Abriss oder Revitalisierung. Aus einem der Bauten könnte man einen coolen Tanzschuppen machen.

Ach ja, zuvor machten wir einen eher von Neugier als Kaufbedarf gesteuerten Abstecher ins kommerzielle Zentrum von Sassnitz-Dwasieden. Große Überraschung: Bei SKY (bzw. coop) fanden wir nach gezielter Suche drei uns vollkommen unbekannte Schokoladensorten, und mussten diese per Spontan-Kauf sofort haben:

  • COOP Vollmilchschokolade mit ganzen Salzmandeln
  • Dark Crunchy Almond von Frey Chocolate Suisse
  • BJÖRNSTED Edel Bio Vollmilchschokolade 37% Kakao mit gemalter Verpackung und toller Website:  Wow, ein Chocolatier aus Herford !

Wir hoffen, der Kauf entspricht unserer Schokoladen-Philosophie: Teuer kann jeder, aber die preisgünstigen Schätze finden ist eine Herausforderung, zumal im Supermarkt, der eigentlich nur für Massenware steht. Ein prägendes Schlüsselerlebnis zu dieser Einschätzung bekamen wir am 12. Oktober 2014 im Atelier des belgisch-/amerikanischen Kalligraphie- und Videokünstlers Brody Neuenschwander: Es wurde zum Kaffee Schokolade gereicht. Was sonst, schließlich befanden wir uns in einem der drei* (*Zürich + Bruxelles noch) Epizentren des europäischen Schokolade- und Pralinenwesens – in Brugge. Auf Stadtrundgängen am Tag zuvor hatten wir festgestellt, dass die Häuser in Brugge nur dazu dienen, die Lücken zwischen den Chocolaterien zu füllen. Brody gab nebenbei eine authentische Empfehlung, die wir seither beherzigen: Er erwähnte, dass er oft von Besuchern aus aller Welt gefragt werde: „Brody, wo kann man in Brugge die beste Schokolade kaufen?“ Und seine Antwort, so Brody, laute stets : „Geht in einen normalen Supermarkt – z.B. Delhaize – und kauft normale belgische Côte D’Or Schokolade. Es gibt nichts Besseres.“ Auf dem Heimweg nach Paderborn versuchten wir, diesen Rat zu befolgen, doch es war Sonntag, und die belgischen Supermärkte hatten erstaunlicherweise zu. Gut, wir wissen, dass in Paderborn ein Großhandels-Cash-and-Carry-Markt als Einziger zumindest die drei gängigsten Sorten Côte D’Or führt.

Um 17.00 liefen wir auf dem hiesigen St.-Martinszug mit guter Beteiligung von Feuerwehrleuten, Eltern und Zwei-bis-Vierjährigen mit. Zum Schluss ging es den Berg hinauf zur Kirche – für Ossis sehr erstaunlich.

Gäste im Rügenfisch-Flagship Store

Gäste im Rügenfisch-Flagship Store

Drei ausgewählte Schokoladen von SKY

Drei ausgewählte Schokoladen von SKY

Ruinen in Prora

Ruinen in Prora

Jugendherberge in Prora

Jugendherberge in Prora

Donnerstag, 12. November 2015

Der Stralsund-Tag: Turmbesteigung St. Marien, Stadtbummel, Feierliches Gelöbnis der Marine-Soldaten, Einkehr bei „Hafenkneipe“.

Das Wetter war ok. Wir parkten etwas außerhalb an der Bahn zwischen Hafen und Rügenbrückenauffahrt, Fußweg in Zentrum etwa 10 Minuten. Schon beim Ozeaneum fielen uns die vielen Marine-Soldaten in Ausgehuniform auf. Auf dem alten Markt wurde ein Gelöbnis vorbereitet. Wir schneiten kaufwillig bei verschiedenen Läden rein, fanden aber nichts. In St. Marien wiederholten wir die Bilder von 2003, diesmal nicht auf Film, sondern digital. Die Turmbesteigung hatten wir nicht so abenteuerlich in Erinnerung, die steilen Holzstiegen wären in Paderborn undenkbar. Aus sogenannten Sicherheitsgründen. Da dies unsere dritte Besteigung von St. Marien zu Stralsund war, kam uns der Ausblick nicht mehr so spektakulär vor, aber immer wieder schön. Beim Kulturhistorischen Museum kamen wir so spät an, dass es sich nicht mehr lohnte. Foyer und Shop sahen gut aus. Auch war die angepeilte Sonderausstellung über die Malerin Antonie Biel grade zu Ende gegangen. Auf dem Marktplatz braute sich nun das Gelöbnis zusammen, moderiert vom Flottillen-Admiral höchstpersönlich. Es ging recht zackig zu. Um nicht vor Rührung zu heulen, mussten wir den Platz schnell verlassen. Am Hafen kehrten wir auf eine Kleinigkeit ein und es war nicht so übel wie schon mal zuvor.

Fazit: Die Stadt hatte sich nach unserem Eindruck bestens entwickelt: Viel Volk, wenig Leerstände, Straßenbild nicht verhunzt, schöne Läden und Kneipen. Danke Weltkulturerbe.

Freitag, 13. November 2015

Drei Erlebnisse prägten diesen Tag:

Zunächst war die Mole dran, 1,4 km rauf und wieder runter. Ab und zu kam die Sonne durch und brachte mäßig dramatische Lichtstimmungen. Nach einer langen Pause fuhren wir spontan nach

Binz, um dort nach dem rechten zu sehen. In Binz war natürlich der Hund verfroren. Bestenfalls konnte man dort Zeit mit unnötig-Geld-Verplempern rumkriegen, was für uns nicht in Frage kam. Zunächst schauten wir beim schwarz-gelben Netto rein (direkt gegenüber vom rot-gelben Netto) um uns etwas zu gruseln, und wir wurden nicht enttäuscht. Zwar war der Eindruck eine Spur „normaler“ als früher, aber immer noch so chaotisch, wie wir den schwarz-gelben Netto seit Jahren kennen: Der Kamm liegt auf der Butter und er wirkt wie ein Schnäppchen-Center kurz vor der endgültigen Pleite.

Trotz großen Hungers kehrten wir nirgendwo ein, weil niemand es wagte, dieses Thema offen anzuschneiden. Wir zahlten gemeine 3 € Parkgebühren und setzten alles auf den

Abstecher nach Schaprode, wovon wir uns einiges versprachen, z.B. tolle Kneipen, viel Flär und authentische maritime Atmosphäre. Die Fahrt dauerte endlos. Es kam richtiges Herbstwetter auf, mit einsetzender Abenddämmerung um 14.00 Uhr, tiefen Wolken und Regenschauern. Schaprode war winzig, ausgestorben, ohne jegliche Angebote, aber totalem Halteverbot. Der ganze Ort verstellt durch weiß angestrichene Findling-Steine an den Straßenrändern, auf dass dort niemand auf die Idee kommt, anzuhalten oder gar zu parken. Das nennt man fremdenfeindlich. Man glaubt, der Tourist will hier nur eines: Seine Karre kostenlos abstellen, um dann ins Individualisten- und Ruhesucher-Paradies nach Hiddensee überzusetzen, wohin er sie nämlich nicht mitnehmen darf. „So welche brauchen wir hier nicht!“ Ohne angehalten haben zu können, verließen wir Schaprode wieder und gaben uns nach 35 Km Rückfahrt den Freuden des gemütlichen Heims hin.

Samstag, 14. November 2015

Es hatte sich deutlich abgekühlt. Wir holten Brötchen, packten unsere Klamotten ein und reisten ab, ohne irgendjemand auf Wiedersehen sagen zu müssen, dank des numerisch gesteuerten Schließfachs für den Wohnungsschlüssel. Um 9.30 Uhr war die erste Pause: in Altefähr wagten wir uns bei Sturm und Wellengang auf den Steg im Strelasund Richtung Stralsund. In dem relativ neuen Ferienwohnungen-/Geschäftskomplex unten am Platz gab es eine runtergekommene Eisdiele, wo wir nach Croissants fragten (Frühstücksangebot lt. Karte), aber der Türke / Ex-Jugoslawe / Usbeke oder vergleichbarer Landsmann hatte nur Industrie-Apfelkuchen garantiert ohne Rosinen, obwohl diese dick herausquollen und als Batteriesäure getarnten Café Crême, den wir nur kurz antrinken konnten. Das war das touristische Rahmenprogramm der Rückreise. Und was hatten wir vorher alles für Zwischenziele in Betracht gezogen:

  • Goralice bei Trzcińsko-Zdrój, in Polen (die alte Heimat, wo wir noch nie waren)
  • Berlin mit diversen Zielen
  • Hamburg
  • Lübeck

Ohne Verzögerungen, außer einem Rückreise-Ei an einer unbedeutenden Raststätte mit Segafreddo, den wir immerhin nicht wegschütten mussten, ging es heim, wo wir um 16.30 Uhr ankamen.