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Unterwegs

1997 · Drei Wochen Bad Ronz

By 21. Juli 1997No Comments

Unser einziger 3-Wochen-Urlaub – vorzeitig abgebrochen

Prolog

Wenn einen alles nur noch nervt. Einfach mal raus aus der Kacke. Mal was anderes sehen, um neue Ideen zu kriegen. Oder nur das allernotwendigste tun: Essen trinken autofahren einkaufen schlafen. Sonne Sand Supermarkt blaurote Luftmatratze. Die Literatur im Kopf: „Die Sommer verbrachten wir  an der See“ schreiben die deutschen Klassiker, oder „die Ferien verbrachten wir am Meer“ wenn es in Frankreich spielt. Konkreter wird es selten, der Hinweis „am Meer“ genügt. Vermutlich waren aber Normandie, Bretagne oder Atlantik gemeint. Seltener wird das „Land“ als Aufenthaltsadresse genannt, dorthin fuhr man nur, wenn es mit einem ausgiebigen Besuch der dort lebenden Verwandten, vorzugsweise Großeltern zu verbinden war. Önkel und Tanten dagegen waren von geringerer literarischer Attraktivität. Allenfalls die ebenfalls zu Besuch einfallenden oder ständig dort lebenden „Cousins“, von anderen Übersetzern auch „Vettern“ genannten Verwandten verhießen einen gleichwertigen Ferienaufenthalt wie bei den Großeltern, von denen immer einer streng und der andere gütig war und einer stets eine unnachahmliche Fertigkeit oder Fähigkeit besaß, entweder in der Ortskundigkeit oder im handwerklich-Schöpferischen (Großvater kannte die geheimsten Stellen, wo es… oder Großvater war ein begnadeter Schnitzer, Flechter, Vogelkundler etc. Großmutter wurde bei genauer Betrachtung lediglich im Backen und Kochen ausgewählter Speisen nach streng geheimen uralten Familienrezepten weltweit durch niemanden mehr übertroffen. Alles schmeckte immerzu „köstlich“. Ähnlich unkonkret wie bei der See/dem Meer pflegen auch „auf dem Land“ die Ortsangaben zu sein. Von bestimmten Städten, Regionen und Dörfern keine Spur. Einfach auf dem Land.

Darum wollten wir es mal wieder wissen: Können wir noch Urlaub machen, kriegen wir das noch hin? Nach anderthalb Jahren Abstinenz, von einem Tag St. Peter-Ording abgesehen und einem Tag in Hamburg und einer Geschäftsreise nach Frankfurt und einem Tagesausflug nach Thüringen und drei Tagen Bodensee mit Ferdi und zwei Nachmittagstouren nach Höxter und einer weiteren Nachmittagstour ins Sauerland. Im Februar waren wir zu einer Autoausstellung nach Lemgo-Brake, aber das zählt nicht, weil wir dort nirgendwo eingekehrt sind, ebenso nicht die Wanderung zur Aabachtalsperre, erstens weil minus 2o Grad herrschten und wir das Kaffeetrinken nur zu Hause absolvierten und der Kuchen nicht besonders schmeckte. Alles kein Urlaub.

Aber jetzt. Tagebuch.

Freitag, 18.Juli 1997

Vormittags nur gehetzt, trotzdem zu spät, nämlich erst nachmittags um drei aus Paderborn weggekommen. Völlig utopisch, Paris, wo ein Hotelzimmer reserviert war, noch so pünktlich zu erreichen, dass dort noch was unternommen werden konnte. Auf der Autobahn bei Wuppertal verpennten wir die Abfahrt Richtung Düsseldorf, sodass die schlimmere Alternative über Köln genommen werden musste, die, wo immer Stau ist, weil seit Jahrzenten der Kölner Ring umgebaut wird. Auch sonst war es nicht gerade leer. Wir sahen zweimal Wohnwagengespanne, die sich verdreht hatten oder umgekippt waren. Für die war der Urlaub vorbei, bevor er angefangen hatte. Möglicherweise waren es auch Freud’sche Fehlleistungen, d.h. sie hatten im Grunde keinen Bock auf Urlaub und tendierten unbewusst zum Crash.

Die Einfahrt in die Stadt war überraschend: Seit dem letzten Mal hatte sich einiges verändert, z.B. waren die letzen drei Kilometer von St-Denis bis Paris voll vertunnelt worden, und ein gigantisches Stadion oder Arena stand an der linken Seite, sodass wir staunen mussten. Lt. Autobahn-Anzeigentafel war der Verkehr auf dem BP Fluide. Für Sekunden sahen wir den Eiffelturm. Das Hotelzimmer in Issy-les-Moulineaux in der Nähe von Paris betraten wir um 22.15 Uhr. Meine Vorstellung vom weiteren Verlauf des Abends: Erstmal in Ruhe duschen, aufstylen, dann mit der Metro zu Eiffelturm, da rauf und kucken. Danach zu Fuß zum Boulevard Montparnasse, in zwei drei Kneipen einkehren und jeweils Brigitte fotografieren bei der Serie „Brigitte trinkt ein Bier“. Gemütlicher Ausklang auf dem Boulevard St.Michel, wo auch nachts noch die Boutiquen offen haben und wir Gelegenheit gehabt hätten, Ersatz für den zu Hause vergessenen roten Minirock zu beschaffen (später erfuhr ich, dass es sich um den bodenlangen roten Wollrock mit der sechs Meter langen Schleppe handelte, dessen Fehlen dann doch nicht so schlimm war). Zum Schluss sollten noch ein paar schöne CDs gekauft werden, denn auch die Plattenläden schließen fast nie. Und supertolle Buchläden gibt es auch. Also. Nach dem „Fertigmachen“ war es 22.30 und alle Kneipen im Umkreis von 3 Km waren bereits geschlossen. Manche meinten, eine U-Bahn-Fahrt nach Paris lohnte sich nicht und so gingen wir nur einmal um den stillen Block und tranken auf dem Zimmer noch ein Dose warmes Bier aus dem Automaten, lasen den Hotelprospekt und kuckten jedesmal aus dem Fenster, wenn draußen ein Tür klapperte oder ein Dieselmotor angelassen wurde, denn wahrscheinlich waren es Gangster, die es auf unseren Golf abgesehen hatten. So kriegten wir die ganze Nacht kaum ein Auge zu, aber schön war es doch. Unser Wunsch wäre ein Zimmer mit Eiffelturmblick gewesen.

Samstag, 19.7.1997

Das Frühstück im Hotel war auf totale Selbstbedienung abgestellt, es war kein Personal zu sehen, nur ein paar andere Gäste, darunter die obligatorischen Deutschen, z.B. ein Einzelreisender vom Typ Ernst-Dieter Lueg, mit viel zu großer Brille und einem ausgeprägten Fresszwang. Man brauchte auch nicht Bonjour sagen. Später ließ sich jemand vom Hotel blicken. Es war der nette Neger von gestern abend. Die Weiterfahrt ging zügig. Wir verfuhren uns nur einmal, weil wir uns nicht einigen konnten, wer fährt und wer auf die Karte kuckt. Die, die auf die Karte kuckten, konnten mit den daraus gewonnenen Eindrücken nichts anfangen. Die die fahren mussten, wussten nicht, was sie taten. Auf der Autobahn wurde es immer voller, und zwischen Orleans und Tour ging nix, nur Stau. Messdiener Dave, zeitgleich aus La Tranche kommend, fuhr vermutlich nur fünf Meter an uns vorbei, bemerkte uns aber nicht. Wir ihn auch nicht. Bei Chatellerault legten wir unseren obligatorischen, mindestens einmal pro Fahrt vorkommenden Streckenabschnitt auf der Landstraße ein, diesmal um folgender Phantasie nachzujagen: An einem längeren Geradeausabschnitt ohne auffällige Merkmale, den man dösend, teilnahmslos und unaufmerksam absolviert, steht vor den Büschen am rechten Straßenrand plötzlich die verheißende Ankündigung „FRITES 100 m“. Und richtig, einen Moment später tut sich ein staubiger geschotterter Platz auf, wo eine einsame, hässliche, ambulante Frittenbude Fritten und Fettiges aller Art verkauft.

Genau das passierte nicht. In einem Vorort von Poitier, ein km vor dem berühmten Futuroscope, wo neulich der deutsch-französische Gipfel tagte und Rolf Ulker und Udo vor 6 Jahren fast zum Miles-Davis-Konzert hingefahren wären, kamen wir im Stau genau vor einer Bäckerei zu stehen, wo es Pizza à emporter gab. Die bestellten zwei Stücke wollte man uns zunächst eiskalt andrehen und ich sagte: „Mattmosell, wat is dat denn? Warm machen!“ Wir fanden ein kleines Stück Acker mit hoher Ameisen-Population, wo wir die Picknick-Pferdedecke ausbreiteten und die Pizza fraßen. In Erfüllung des Prinzips „Öfter mal was neues“ fuhren wir eine Abfahrt weiter als sonst – nämlich bis Saintes – und sahen ab hier eine Frittenbude nach der anderen. Die Eindrücken von den letzten 20 km vor Tremblade waren weniger schlimm als gehofft, nahezu nett. Bei Ankunft am Ziel inspizierten wir unser Ferienhaus zunächst von außen. Trotz intensiver Ausschau fanden wir den ganzen Urlaub kein schlimmeres mehr. Monsieur war schweigsam, redete nur die nötigsten Informationen in französisch.

Es folgt jetzt eine Beschreibung des Hauses. Kenner der Historie wissen die Eckdaten der bisher erlebten Häuser und können z.B. mit dem Begriff „Fisch-Schupp-Zimmer“ eine Vorstellung verbinden. Der Gestank entsprach dem Standard-Durchschnittsgestank aller französischen oder sogar europäischen Ferienhäuser. In der Küche nur das allerallerbitterbitternötigste. Im Schlafzimmer nichts außer zwei flachen Pritschen und einem braunen Plastik-Hocker. Wichtiges Thema Klo: Der Raum selbst immerhin mit Fenster, die Klodeckelbrille so billig dünn, dass sie einem beim Wiederaufstehen am Bein kleben bleibt, das eigentliche Klo ca 25 cm hoch. Die Dusche in der Ecke ohne Vorhang geschweige denn Glastür. Der Garten ohne Hecke, ohne Blumen, ohne Büsche, nur große Kiefern wie auf dem Neuhäuser Friedhof, voll den Blicken der Nachbarn ausgesetzt. Kein Sonnenschirm, aber doch ein paar wackelige weiße Plastikmöbel. Schon am nächsten Tag trat die Gewöhnung ein und es war ok. Abends kam Madame zum kucken und erklärte, von nun an kein Wort deutsch mehr zu sprechen. Nach den üblichen Verrichtungen machten wir mi’m Rad eine Erkundungstour: Ronce-les-Bains (in Deutschland möglicherweise besser als Bad Ronz bekannt) und nach Tremblade. Wir kuckten die Kneipen aus, wo wir später mal Lust haben würden, essen zu gehen. Bad Ronz ist wie alle französischen Küsten-8-Wochen-Orte von intensivem Kleinrummel gekennzeichnet. Es sind nicht die Schönen und Reichen, die hier wohnen. Der Ort ist eine große Siedlung im Kiefernwald mit neuen und alten Villen und Ferienhäusern, wie man sie an der ganzen französischen Atlantikküste und auf den Inseln findet. Zwischen 20 und 22 Uhr sieht man die Leute auf Ihren Terrassen und Balkonen sitzen und in großen Clans das Abendessen einnehmen. Zu Mittag isst man hier nach wie vor in schattigen Ecken am Straßenrand, wo man mit dem Auto hinfährt und unter Campingbedingungen ein ausgiebiges Pique-Nique abhält. Eine schöne Sitte. Der Strand ist noch nicht richtig erkundet.

Das kalte Abendbrot wurde mit der eine Stunde nach Ankunft im „Champion“ gekauften und selbstverständlich mit Kreditkarte bezahlten Saucisson sec, Pate de Campagne, hiesigen Tomaten und Comté eingenommen. Die Butter stammt aus Surgères. Ausschließlich im Urlaub ist auch Nutella auf dem Tisch zu finden. An dieser Stelle kommt Rolf Ulker zu Wort: „Nutella mag ich nicht, das heißt, ich mag es nicht als Brotaufstrich, nur pur.“ Dieses Zitat spricht für sich.

Sonntag, 20. Juli 1997

Heute vor 53 Jahren war das Attentat. In Bad Ronz ist täglich Markt (klassisch französisch) und wir hätten am liebsten alles Schöne und Leckere eingekauft. Die Mittagshitze bei strahlend blauem Himmel nutzten wir zu einer Radtour durch den Wald zum 9-11 km entfernten Atlantik mit seinem gigantischen Strand. Auch dort war es wie immer: An der Straße zum Strand parkten die Autos, am Wendeplatz stand eine gut bestückte Sauf- und Fressbude (Cola, Fritten, Sandwichs, Chichi etc.). Der Weg führte zu Fuß weiter hinauf über Dünen wieder runter zum Strand, nur noch länger und anstrengender als anderswo. Es war Bas-Mer. Der Strand war ca. 300 m breit. Wir brauchten eine Stunde für folgende Tätigkeiten: Fahrräder abschließen. Über die Düne tigern. Zur Wasserkante stapfen. Die Temperatur prüfen. Die Qualle bestaunen. Zurücklaufen. Eine eiskalte Cola trinken. Mit dem Fahrrad wieder abhauen. Kurz das Nachmittags- und Abendprogramm: Spaziergang durch die Siedlung zur Pont de Seudre und zurück, weiter zum Ortkern Bad Ronz, kucken und wundern, Biere-a-la-pression.

Montag, 21.Juli 1997

Fahrradausflug nach La Tremblade, um die Vergangenheit aufzuarbeiten, nach Möglichkeit sogar zu bewältigen. Es gab ein Ereignis, das uns immer noch aufwühlt und zu Ende bewältigt werden muss: Im Jahr 1989 waren wir schon mal einen Nachmittag mit dem Fahrrad in La Tremblade, damals von Oleron aus. Wir kauften in einem Feinkostgeschäft ein achteckiges Glas Heidelbeermarmelade, dessen Geschmack und Qualität, obwohl ich sie nicht probiert habe weil ich Marmelade nicht mag, bis heute unerreicht blieben. Diese achteckige Marmelade galt es nicht nur wieder zu suchen, sondern sie ist der wahre Grund, warum wir überhaupt wieder in diese Gegend gefahren sind. Ein zweites Ereignis damals war so stark, dass wir es nie vergessen werden und es heute zum Gedenken noch mal nachexerzieren wollten: Wir kauften wie schon anno 89 in einem weiteren Feinkostgeschäft ein Stück Quiche Lorraine, fuhren zum Hafen und verspeisten es dort trotz oder gerade wegen des stürmischen Windes, der heute aber nicht so stürmisch war, sodass einem das Fett nicht wieder ans Bein wehte. Dafür schmeckte die Quiche nach nix, sie hatte zu wenig Blätterteig und zu viel Ei. Es war das letzte mal. Wieder ein Mythos weniger. Am Weg zum Hafen waren noch mehr Kneipen angesiedelt worden in der Zwischenzeit, von denen eine spontan für einen späteren Besuch vorgemerkt wurde. Die Eindrücke beim Unterwegs-sein hier in der Gegend vermischen sich zunehmend mit den Eindrücken anderer Urläube, sodass es immer schwerer fällt, festzustellen, was einen eigentlich an was erinnert. Es gibt nichts wirklich neues, sondern nur eine Mischung aus allem. Wird also Zeit, mal ganz woanders hinzufahren. Den Nachmittag verklüngelten wir. Um halb sieben fuhren wir mit dem Auto zum Atlantik, wo wir in vorderster Reihe einen Parkplatz fanden. Brigitte machte einen Strandspaziergang, Udo starrte stumpf vor sich hin. Nach dem hastig eingenommenen Abendbroth ging es mit dem Auto nach Le Chapus, wo sich einiges verändert hatte. Die Bahnschienen waren entfernt worden, aber das Hotel Terminus sah noch genauso aus wie seinerzeit vor 8 Jahren. Wir gingen auf den alten Fähranleger und erlebten einen Bilderbuch-Sonnenuntergang. Es kam extremes Schusslicht auf. Aber das Fotografieren wurde einem durch plötzlich massiv und aggressiv auftretende Mücken wirklich unmöglich gemacht. Es ging weiter mit dem Auto nach Oleron. Die Löhnstelle war komplett abgebaut. Oleron umsonst. Die beiden Esso-Tankstellen am Ende der Brücke auf der Oleron-Seite waren weg. Schweigend vor Wehmut kurvten wir durch St. Trojan und stellten fest, was neu war und was nicht. Am Hafeneingang war ein Riesen-Kreisverkehr entstanden. Die Disco hieß immer noch Le Sloopy. Wir trafen keinen Bekannten.

Dienstag, 22. Juli 1997

Wetter ganztägig bedeckt, abends aufgelockert. Der Nachbar (Angestellter in einem Baustoffhandel) brachte die Zeitung von Samstag. Er stellte sich mit Handschlag vor. Kein allzutypischer Franzose. Die anderen beiden Nachbarn nach vorne: links ältere Herrschaften (er unauffällig, sie kann in der richtigen Gesellschaft zum „Jabbel“ werden) mit zwei Enkelkindern und zwei Hunden. Die Hunde sind Zwillinge. Die Nachbarn geradeaus über den Platz hinweg kommen aus Ingolstadt, fahren das entsprechende Auto und heißen bei uns daher sinnigerweise „Audis“.

Nachmittags machten wir eine ca. 40 km Radtour nach Palmyre, hin über die Dörfer, zurück durch den Wald. Palmyre ist ein Ferienhaus/Campingplatz/Urlaubszentrum im Wald. Ein langer schmaler Strand mit Promenade war stark bevölkert. Wir tranken eine Cola und verschwanden wieder, dankbar, nicht unseren ganzen Urlaub in Palmyre verbringen zu müssen und wissend, auch zukünftig entsprechenden Verlockungen zu widerstehen. Auf dem Rückweg kauften wir zur Dokumentation die entsprechenden Ansichtskarten sowie zwei Teilchen, die wir alsbald zu essen vorhatten. Es brauchte 1,5 Stunden Radfahrt durch die Wildnis, auf Umwegen verfahren bis zum Leuchtturm, wo wir gar nicht hinwollten, bis uns endlich am Ortsrand von Bad Ronz, wo „unser“ kleiner Strand anfängt, nichts anderes übrig blieb, als die Teilchen dort zu essen, wenn wir sie nicht als Hasenteilchen nach Hause tragen wollten, wo bereits ein Salat auf uns wartete. Der Salat war nur bitter. Abends Bummel über den Rummel.

Mittwoch, 23. Juli 1997

Wir wollen es nicht vergessen: Heute ist das Hochfest des Hl. Liborius. Daher strahlend blauer Himmel und warm. Vormittags kauften wir gemeinsam im Champion von La Tremblade ein. Brigitte ist extra mitgekommen, da nur sie etwas von Marmelade versteht. Nach 15 Minuten Wühlen und Kucken entschied sie sich für eine Cassis. Zu Hause stellten wir fest, dass die Cassis verschimmelt war und Udo nach einer kurzen Diskussion losmusste, um nicht die Selbstachtung zu verlieren, denn die Confitüre war bereits das dritte Lebensmittel, bei dem wir uns verschätzt hatten, und immer nur gleichgültig wegwerfen, das ging nicht, also wurde die Cassis umgetauscht gegen eine gleiche, aber nicht verschimmelte. Wie wir mit der Leberwursth verfahren und wie mit den Oliven, ist noch nicht raus, aber wir favorisieren eine Art mittelfristiges Experiment: Wir deponieren die Scheibe Pate Campagne in einem Garten der entfernten Nachbarschaft und beobachten bei anschließenden Spaziergängen, was damit passiert. Die Wurst ließe sich natürlich auch mit den leichtsinnigerweise in Urlaubslaune gekauften Oliven garnieren, die stinken genau wie ein ***, (nähere Erläuterung auf Anfrage). Insofern hätte sogar noch die verschimmelte Marmelade zu einem schönen Dreiklang verholfen. Nach der magischen 17-Uhr-Marke radelten wir zum großen Strand bei der Pointe de Espagnol. Udo ging zum ersten Mal seit 1982 (Vieste!) in die Wellen und bezahlte seine Kühnheit mit einer echten Ray-Ban-Sonnenbrille. Egal, das Ding war drei Jahre alt und rief keine Begeisterungsstürme mehr hervor. (Anmerkung 2003, also aus der Distanz von 6 Jahren: dies war die beste Sonnenbrille, die wir je hatten, echter James-Bond-Look, total cool. Das Nachfolgemodell hatten wir drei mal auf, bis es in der Versenkung verschwand und vielleicht mal zur Lesebrille umgebaut wird). Nach 20 Uhr zurück, war Brot kaufen so schwierig, dass es Nudeln gab. Die Abendausfahrt führte nach Tremblade, den Austernboulevard hinaus. Die Liste der dringend zu besuchenden Restaurants wuchs um fünf Stück an. Eine kulinarische Novität war zu beobachten: Muscheln unter hell aufloderndem Piniennadelnfeuer. Die Austernbuden werden jetzt abends angestrahlt. Heute kein Besuch auf dem Rummel.

Donnerstag, 24. Juli 1997

Keine Zeitung. Sogenanntes schönes Wetter. Vormittags kurz entschlossen mi’m Auto zur Pointe Espagnol, Bi baden, Udo lesen. Vormittags ist da gar nichts los und der Strand wirkt noch viel gigantischer. In der Brandung tat ein nackter Mann (Adonis II?) auffällig unauffällig. Nachmittags mit dem Auto bis zu dem nun schon vertrauten Palmyre und von dort mi’m Rad durch des Wald und par la cote nach Royan. Palmyre besteht aus zwei Teilen: Einerseits der große, unüberschaubare Rest aus Campingplätzen, alten und neuen Häusern im Wald und andererseits der City: ein Areal von ca. 150 x 300 m Geschäftszentrum im Wald, angeschlossen an einem riesigen Kreisverkehr. Wir radelten im Abstand von ca. 1/2 km am Meer entlang. Bis zur großen Straße waren es noch mal 200 m zur anderen Seite. Von der Straße, den Radweg kreuzend, gingen in regelmäßigen Abständen stichartig Sandwege zum Strand. Für die vielen Strandbesucher, die außerhalb am Straßenrand parkten und von dort aus zum Strand wollten, eine regelrechte Strapaze. Aber es gibt Leute, die das machen. Vollbepackt mit Spielzeug, Kühltaschen, Sonnenschirmen, Plastiksurfbrettern und Kindern an der Hand machen sie sich auf den stundenlagen Weg zum Strand. Erster Höhepunkt der Radtour war St. Palais, ein traditioneller, auf Hügeln und an zwei felsumrahmten Buchten gelegener Badeort mit schönen alten Villen, nettem Flair und buntem Treiben. Wir hielten an und fraßen einen Crepe Sucre. Die ganze Zeit herrschte immer wieder „tiefer, tiefer Süden“. Beim Fahren steigerte sich der Eindruck, auf ein wirkliches Epizentrum, auf eine touristische Metropole, auf einen wahren Magneten zuzusteuern. Die Straßen wurden breiter, die Boulevards eleganter, die Geschäfte zahlloser, die Palmen höher und mehr. Vor uns lag die glorreiche Einfahrt nach Royan. Es gibt in Frankreich nur wenige Orte an den Küsten, die sich so von der großen Masse abheben. Wo das Publikum die nötige Eleganz aufweist, wo praktisch nur Ferraris, Porsches und Jaguars das Straßenbild bestimmen, wo in den Casinos ein mondäne Millionen verspielt werden. Traumhafte Villen und unendlicher Reichtum. Das sind Biarritz, Cannes, Deauville, La Baule, Nizza und eben Royan. So vermuteten wir jedenfalls, und entsprechen hoch klopfte unser Herz. Wir wissen nun leider praktisch nichts Konkretes über Royan, aber in Natura machte es den Eindruck, als wäre es im Krieg völlig zerbombt und so gut es ging wieder aufgebaut worden (wie in Lorient oder Le Havre) oder als hätte in den 50er oder 60er Jahren ein zukunftswütiger Bürgermeister freie Bahn für die Verwirklichung zweifelhafter Bauvisionen gehabt. Wir kauften nichts außer ein paar Ansichtskarten, kuckten auf die Uhr und mussten, um das Brot-Drama von gestern abend nicht zu wiederholen, zügig nach Palmyre unter abkürzender Auslassung aller malerischen Cornichen zurück. Das Wetter trübte sich ein und in Palmyre gab es sogar nach 20 Uhr noch ein Brot. Ein kleiner Abendsparziergang führte zum Mus du Loup und dann zum Rummel. Der heutige Attraktion war eine kleine, vom Syndicat de Initiative betriebene Tanzfläche, wo zu französischer Musette von der CD ältere Herrschaften und Jungvolk mit frisch absolviertem Tanzkurz das Bein schwangen.

Freitag, 25. Juli 1997

Die Zeitung kommt immer später, heute war sie von Dienstag. Ausführliche Beschreibung des Paderborner Liboriprogrammes, nur von der Ausstellung im Kreuzgang ist überhaupt keine Rede. Wofür haben wir uns das angetan?

Das Wetter trübt sich ein. Ab Mittags Nieselregen. Steak, kleine grüne Bohnen und Kartoffeln. Nachmittags mit dem Auto kleine Verlegenheitstour nach Marennes, um 1. bei einer Garage Volkswagen Ersatz für die seit Monaten kaputte linke Scheinwerferbirne zu kaufen, 2. feststellen was dort vom Tour de France-Fieber übriggeblieben ist, da Marennes am 11. Juli Etappenziel war, ja, in einigen Geschäften hingen noch Tour-Plakate, 3. die Kirche zu besichtigen, die angebotene Turmbesteigung lohnte sich aber wegen Nebels heute nicht, 4. zur Pointe Cayenne weiterfahren, um noch mal 1a Austernathmospähre bei trübem, aber für die Austernwelt typischeren Wetter zu schnuppern. So dachten wohl viele und an der Pointe Cayenne, die strenge genommen ein Ort der Arbeit und nicht des Tourismus ist, herrschte lebhaftes kucken und staunen. Wir konnten uns leider zu keinem Gaststättenbesuch entschließen, lediglich der Zähler der noch zu besuchenden Essen-gehen-Lokale sprang eins höher. Zurück in Bad Ronz, war keine deutsche Zeitschrift erhältlich, kein Wunder angesichts der nationalen Verteilung der Urlauber: 90 % Franzosen, 5 % Holländer, 5 % Rest: Iren, Tommies, Norweger, Deutsche (Darunter wiederum 0 % Spiegel- oder Brigitte Leser). Ein neuer Zirkus war angekommen.

Samstag, 26. Juli 1997

Zeitungen von Mittwoch und Donnerstag. Wetter bedeckt. Auf dem Markt Espadrillos (von Abnehmern daheim vorbestellte Ware) gekauft und für das Mittagessen Merguez-Würstchen. Der Nachmittagsknüller war eine Radtour ab Marennes über Brouages (eine Zitadelle aus dem 17ten Jh. mitten in der Knüste, kannten wir bisher überhaupt nicht, mit sehr verhaltenem Rummel) und Soubise an der Charente nach Rochefort. Ziel war die einzigartige Gustave-Eiffel-artige Schwebebrücke über die Charente. Das Ding war aber weiter weg als wir dachten. Wir mussten einige Umwege fahren bis dorthin und stellten unterwegs fest, dass die alte Zugbrücke über die Charente weg war und durch eine riesige Hochbrücke, vierspurig und a Peage

ersetzt worden war. Die Schwebebrücke etwas entfernt davon war aber noch in Betrieb und man konnte für 5 Francs pro Kind rüberschweben. Kaum waren wir in Rochefort, stand wieder mal die Brot-Problematik im Zentrum unserer Bemühungen. In einer äußerst umständlichen Verkehrsführung gelangten wir zu der neuen Hochbrücke, die letzte Gelegenheit vor der Mündung ins Meer über die Charente zu kommen. Unerwarteterweise war die Brücke für Radfahrer nicht gesperrt und dazu umsonst. Der Rückweg war schöner, da wir eine abgelegenere, aber nicht undirektere Strecke wählten, ohne Autoverkehr, durch die beschauliche Stille der sumpfigen Salzwiesen mit seiner seltenen Tierwelt. Wir sahen Störche oder wenigstens Reiher und auf einem unübersichtlichen, buschigen Abschnitt eines ungeteerten Feldweges haben wir eine Familie von 5 – 7 Ratten, die sich auf der Wegesmitte sonnten, dermaßen überrascht, dass sie für das Kurve-kratzen reichlich Bedenkzeit brauchten. Eine arme Ratte wurde von Bi überfahren. Der Schrecken saß auf beiden Seiten tief und ein vorgesehenes improvisiertes Pique-Nique wurde abgesagt. Die Landschaft genießend (ein bischen wie Belgien oder Holland, mal nicht durch den Wald) kamen wir in Marennes wieder an und gönnten uns, nachdem wir mal wieder in allerletzter Minute nach drei Anläufen ein Brot ergattert hatten, in einer Kneipe an einer Kreuzung eine eiskalte Cola. Man sagt hier, wenn man cool sein will: Une Coca. Auf dem Parkplatz hinter unserem Auto stand ein Waggon mit Pizza a emporter. Einheitsgröße 30 cm, Preise um 45 Francs.

Sonntag, 27. Juli 1997

Nachmittags war Strand angesagt. Da es Sonntag war und schönes Wetter, konnte man von gutem bis sehr gutem Besuch ausgehen, und da alle mit dem Auto hinfahren, waren wahrscheinlich Parkplätze ab ca. 3 km vom Meer noch frei. Also schnell die Räder aufgepumpt. Die Luftpumpe, die Udo vor Wochen schon wegwerfen wollte, zeigte sich von Ihrer passiven Seite: sie ließ sich vom Reifen aufpumpen, nicht umgekehrt. Nicht aufgeben wollend, versuchten wir es mit der Gewalt-Tour und zack, war die Luftpumpe geplatzt. Der Fußweg vom Parkplatz, unter günstigen Umständen vielleicht 5 Minuten, dauerte jetzt 25. Am Strand keine besonderen Vorkommnisse. Abends erstes mal schick essen gehen. In Tremblade zwischen Bahnhof und Kino. Leider waren zur prime time überhaupt keine Plätze mehr frei, wir fuhren zurück nach Bad Ronz und landeten in einer Creperie. Wir aßen verschiedene Buchweizenpfannekuchen und ein halber Liter Wein sorgte für gute Stimmung. Auf dem Rummel war öffentliches Karaoke. Wir konnten die französischen Texte nicht so schnell stumm vom Monitor mitlesen, wie die Kids sie in o.k.er Qualität sangen.

Montag, 28. Juli 1997

Von Salzis haben wir den Begriff vom tiefen, tiefen Süden gelernt, erstmalig erwähnt auf einer alten Postkarte aus La Palma, und seitdem ist es bei uns geübte Praxis, diesem tiefen, tiefen Süden immer wieder nachzujagen. Er ist an keinen Längen- und Breitengrad gebunden, mehr eine flüchtige Erscheinung oder eine Lebenseinstellung, ähnlich wie der Rock ’n Roll. Klar, dass es zwischen Griechenland und Portugal öfter klappt als in Amsterdam oder Emden. Tiefsüdigkeit haben wir trotzdem schon in Skandinavien gespürt, auf dem Neuhäuser Friedhof, in Paris und in Salzkotten hinter dem Krankenhaus. Dabei sind die Grundbestandteile immer die selben: Kiefern, Pinien, Wasser und blauer Himmel. Schwarzer Asphalt, Autos, Tankstelle, Werkstatt. Restaurant, Reklame, Campingplatz. Dazu das passende Licht, entsprechenden Gerüche, Stille oder Krach. Das alles in veränderlichen Anteilen. Natürlich ist er auch hier zu finden, man braucht nur den Kopf nach oben heben und sieht ihn. Heute ganz besonders. Der Himmel war von einer in den letzten 10 Tagen nicht gekannten Bläue und damit war es der gegebene Tag für den Besuch auf der anderen Seite der Gironde-Mündung. Wir parkten das Auto 2 KM vor dem Fährhafen, aus Angst, keinen oder nur einen teuren Parkplatz zu finden. Natürlich war der Fährparkplatz dann umsonst und gähnend leer. Das Einchecken, Boarden und übersetzen dauerte über eine Stunde. Drüben verspürte man den oben erwähnten tiefen, tiefen Süden mit ungebremster Wucht. Es gab einen Radweg par la Foret, parallel zu einer kurvig durch den Wald verlaufenden Bahnlinie, die wir für längst stillgelegt hielten, bis uns ein Zug entgegenkam. Am Ortsrand von Soulac überquerten wir die Düne und nahmen alle ein erfrischendes Bad im Atlantischen Ozean. Der Strand hier war bequemer zu handhaben, weil er nicht so breit und nicht so weit von der Straße entfernt war. Eine Stunde später erkundeten wir kurz die City von Soulac. Cola, Ansichtskarten, Briefmarke. Soulac sah deutlich mehr nach Geld aus als Bad Ronz. Die Leute affiger, die Preise teurer, die Bedienung muffiger. Ständig die Abfahrtszeit der letzen Fähre zurück nach Royan (unverständlich frühe 20.30 Uhr) im Nacken, machten wir uns schnell wieder auf den Rückweg, diesmal nicht durch den Wald, sondern die normale Straße über Verdon. Der allgemeine Baustil war durchaus anders als nördlich der Gironde, wo der Vendee-Stil vorherrscht. Die Häuser unten sind mehr im „Bahnhofs-Stil von 1880“, ich nenne es im atlantischen Stil mit spitzeren Dächern und streifig geklinkerten Hausecken gebaut (Alle Stilangaben nicht wissenschaftlich fundiert, sondern nur nach eigenem Empfinden). In Royan am Hafen hatte man sogar um 19.15 Uhr noch ein Brot für uns vorrätig.

Dienstag, 29. Juli 1997

Wetter ok. Zeitung von Samstag. Wir wissen immer noch nicht, wer die Tour de France gewonnen hat, so hängen wir hinterher. Dank der gestern kanpp vor der Soulac-Reise neu erstandenen Qualitäts-Luftpumpe konnten wir den heute fälligen Strand-Besuch an der Pointe Espagnol wieder mit dem Rad erledigen. Start 17.00 Uhr. Der Tacho zeigte nur 8 KM an, sodass die 9-11 km-Schätzung unter dem Datum 20.7.1997 übertrieben hoch lag. Tschuldigung. Weitere genaue Daten: Der Marsch von der Stelle des Niederlassens am Strand bis zum Fahrrad dauert 14 Minuten. Die Fahrt mit dem Rad nach Hause 25-30 Minuten. Das Brot hatten wir weit vorausschauend schon morgens gekauft, sodass wir den Feierabend locker angehen konnten. Abends kurzer Besuch des Rummels, ohne etwas zu kaufen. Auf dem öffentlichen Bambule-Platz war Tanz der Jugend zu braven Rhythmen alter Schnulzen, die man früher als Disco-Musik bezeichnet hätte.

Mittwoch, 30. Juli 1997

Wetter ok. Zeitung von Montag. Wir wissen, wer die Tour de France gewonnen hat und wie der Start von Libori war etc. In Tremblade war ein Floh-, Antik- und Brocante-Markt mit überwiegend ausgesuchten Stücken, ganz anders als unsere Paderborner Flohmärkte, wo 99 % Schrott angeboten wird. Leider war nichts rechtes zu Vervollständigung unserer diversen Sammlungen dabei. Allerdings hätte man einen schönen Grundstock für eine exzellente Aschenbecher-Sammlung legen können. Mal kucken, vielleicht nächsten Mittwoch.

Nachmittags Strand wie gestern, außer dass die Wellen höher waren. Abends ein distanzierter Besuch des Rummels.

Donnerstag, 31. Juli 1997

Wetter ok, Zeitung von Dienstag. Tagesprogramm: Der seit langem geplante Besuch auf Oleron, Abfahrt 10 Uhr mit dem Rad. Die Straße Marennes-Oleron war höllisch voll. Oleron ist ein Ziel für den Massen-Tourismus. Immer noch sehr puckeliger Straßenbelag auf der Brücke, sodass man eher ein Mountain-Bike als ein Rennrad bräuchte. Es folgt eine Aufzählung der Neuigkeiten: Radweg von Brücke bis Ors. Bei Petit Village ein neues Austern-Freilichtmuseum mit kleiner Museums-Saline. Radweg von Grand Village über St. Trojan bis zum Grand Plage jetzt geteert. Möglichkeit, vom Gatseau-Strand bis Trojan par-la-Cote (mit dem Rad) zu fahren. Chicer Ausbau der Trojaner City. Umwandlung vieler Austernbuden am Hafen in (Saison)-Restaurants.

Wir fraßen Menu zu 95 Franc im „Le Gulf Stream“ am Gatseau-Strand. Auch das Gulf Stream war nobler geworden, der improvisierte Bretterbuden-Charme verschwunden. Zwei Servier-Mädchen waren völlig überfordert und für die Kombination Moules, Steak, Frites, Glace, Cafe brauchten wir zweieinhalb Stunden. Der Besuch am Grand Plage ging auch daneben, weil es sehr voll war, starker Wind einen regelrecht umhaute und die Flut den Strand auf echte 10 – 5 Meter Breite reduzierte, sodass die Massen nicht mehr wussten, wohin. Wir kuckten uns das staunend eine Weile an, bekamen vom Wind überall Sand hin, die Kamera knischte schon, und verzogen uns wieder. Im nahen Wald gab es ein kleines ruhiges Pique-Nique. Nach einer Zwischenstation in Le Chapus (Eis essen) kamen wir um 18.45 wieder daheim an, völlig fertig von Sonne, Wind, Autos und puckeligen Straßen.

Freitag, 1. August 1997

Wetter ok, keine Zeitung. Fotoaktion: Ein Tag im Leben eines Arztes – Der Doktor beim Einkaufen, bei der Büroarbeit, im Wald, beim Brot-holen und am Strand. Abends Fotos in Tremblade bei dem Austern-Buden.

Samstag, 2. August 1997

Wetter ok, Zeitungen von Mittwoch und Donnerstag. Mittags mit dem Rad zum Strand. Danach Frischmachen für einen weiteren Besuch in Royan, um die bisher nur von weitem bewunderte Kirche zu besichtigen. Gegen 18.00 Uhr kamen wir in der Kirche an. Ein älterer Herr gab uns ein deutschsprachiges Blatt mit Wissenswertem über die Kirche. Sie heißt bei den Royanern „Cathedrale“, wegen der Größe, der enormen Höhe des Innenraumes von gotischen 28-36 Metern und wegen der besonderen Bau-Umstände. Die Deutschen mal wieder. Sie hatten Royan bis Februar 1945 besetzt und belagert, während der Rest Frankreichs bereits am 8. Mai 1944 befreit wurde. Feb. ’45 waren es die Amis leid und bombten die Deutschen heraus. Dass dabei auch Royan zerstört wurde, war halt Pech. Anfang der 50er baute man eine neue Kirche, und siehe, es wurde eine regelrechte Kathedrale, aus Stahlbeton und Glas. Auch der Raumeindruck drinnen ist gewaltig.

Weiter ging es mit einem kleinen Stadtbummel über die Hauptgeschäftsstraße. Dort stehen zwei große Gebäudekomplexe, die als zwei Segmente eines gedachten großen Kreises gelten können. Sie folgen einem Teilstück der Bucht. Auf der Erdgeschoßebene sind regelmäßig große Durchfahrten zur Wasserseite hin gelassen, durch die man von der Straßenseite aus den Segelhafen sehen kann. Insgesamt eine sehr elegante Stadtplanung der Nachkriegszeit. In den Details sieht man natürlich, dass das ganze nicht von heute ist. An der Stadtseite, der Außenkurve, sind jede Menge schicke Läden, an der Wasserseite/Innenkurve nur Restaurants und Kneipen. Wir staunten über eine Bar, bei der die Bestuhlung im Außenbereich mehr aus Liegesesseln bestand. Man „lag“ regelrecht zu Tische. Um 19.30 Uhr beschlossen wir, noch „par la Cote“ ein Stück die Gironde hinauf zu fahren, bis hinter die nächsten Felsen. Die hinteren Ecken von Royan hatten im Krieg scheints nicht so gelitten, es gibt an der Corniche noch jede Menge Prachtvillen. So kamen wir von Bucht zu Bucht bis Meschers. Die Gegend ist sehr abwechslungsreich, es geht rauf und runter und zur Saison wimmelt es nur so. Ein Stück Strand mutete schon fast wie die Algave an, ein anderes wirkte durch die 4-spurige Straße, die Beleuchtung und den einbezogenen Baumbestand eher wie Klein-Florida. Zack. Meschers selbst war nix. Ein kleiner mickriger Hafen ohne Meersicht hatte nichts vernünftiges zu bieten und ließ uns fotografierenderweise wieder den Buchten und der dort einsetzenden abendlichen Illuminationen zustreben. Wir fraßen am Strand einen Croque Monsieur: eine französische Fast food-Erfindung aus der Zeit, als es Fast food noch nicht gab. Auf einem Plateau oberhalb von St. George de Didon fotografierten wir Royan by Night. Ein tolles Restaurant da oben wurde augenblicklich in die immer länger werdende Liste der noch zu besuchenden Lieblingsrestaurants aufgenommen. Ein Riesenladen, voll besetzt und zig Kellner und Serviermädchen am schwirren. Der Rückweg führte uns weiter über die Hafenpromenade von Royan. Was hier los war, war tatsächlich so unbeschreiblich, wie wir es sonst nur spöttischer- bzw. erhöhenderweise fiktiven Erscheinungen zuschreiben, wo real gar nichts los ist. Z.B. brauchen wir nur auf der gegenüberliegenden Seite einer x-beliebigen Bucht abends ein paar Lichter angehen sehen, dann übersteigert sich dieses Phänomen in unserer Phantasie zu einem magisch anziehenden Zentrum der Betriebsamkeit, des Vergnügens, des Rummels und des Lasters. Wir glauben dann, dort ginge in nicht mehr steigerbarerweise wahnsinnig was ab. In der Astronomie nennt man so etwas ein schwarzes Loch. Und so war Royan nun in echt. Es ging wahnsinnig tierisch ab. Wir waren dermaßen schock-gelähmt, dass wir die dringend erforderlichen Fotos davon auf einen späteren Besuchstermin verschiebenen mussten. Alle Restaurants und Bars waren zum Bersten voll. Neonlichter überall. Man tanzte auf dem Bürgersteigen, die Berliner Love Parade war dagegen ein kleines Treffen der Heimatfreunde. Und das alles nicht in einem kleinen, schäbigen, beliebig austauschbaren Küstenort xyz, sondern vor der eleganten Kulisse dieser Weltstadt Royan. Unsere Begeisterung war restlos. Der Autoverkehr schob sich dicht an dicht im Schritttempo über die Promenade. Auch in Vaux und St. Palais war es nicht viel anders. Rummel dieser Größenordnung ist in deutschen Urlaubsorten undenkbar.

Sonntag, 3. August 1997

Wir wurden dadurch wach, dass Madame Delemontez, die Hausbesitzerin, ihren Kopf zwischen die Fensterläden in unser Schlafzimmer schob und sagte: „Messieurs/Dames, es ist Zeit zum Aufstehen. Isch muss mä-en dänn Garten.“ Verschlafen rieben wir die Augen, stellten fest, dass es schon viertel vor Zehn war und der erste Gedanke war: Der Oppa kommt gleich. Wir entschuldigten uns bei Madame und wagten es nicht, Einspruch zu erheben: „Madame, mä-en Sie nischt.“ Statt dessen einigten wir uns auf dem Mähtermin Montag, 3. August, 14 Uhr.

Wetter ok. Nachmittags mit dem Rad zum Strand. Viel Betrieb. Gute Wellen. Abends Fototermin am Kirchturm von Marennes. Leider ging die Sonne zu früh weg, und die Wartezeit, bis die Beleuchtung einsetzte war ziemlich lang. Als wir schon auf dem Heimweg waren, sahen wir im Rückspiegel, dass der beleuchtete Turm aus der mittleren Entfernung wie eine Rakete aussah. Aber da war der Film voll. Also auch hier: Wiederkommen.

Montag, 4. August 1997

Morgens Gewitter, leichter Regen. Zeitung von Freitag. Mittags Ratatouille, Nachmittags Radtour weiter die Seudre hinauf nach Chaillevette. Leider taugte die Tour nichts. In Chaillevette hatten sie noch nicht begriffen, wie touristenfreundlich man die Austernzucht betreiben kann, wenn man will, siehe Tremblade, Marennes, St. Trojan. Es war dort trist und ungemütlich. Der Rückweg war nicht besser und erst nach 30 Km, am Ortsrand von Tremblade fanden wir Gelegenheit, das mitgenommene Obst zu essen. Wir kauften vor Frust ein paar Teilchen und fraßen sie mürrisch daheim. Tatsächlich war in der Zwischenzeit gemäht worden. Die Mimosenwiese war verschwunden. Wir verbrachten den Abend heftig korrespondierend, nur unterbrochen von einem kurzen Gang auf den Rummel. Langsam wird die Zeit für die noch zu erledigenden Angelegenheiten knapp. Es sind noch einige Fotos zu schießen, sämtliche auserkorene Lieblingsrestaurants warten auf die Verkostung, wir wollen eine Radtour an der Charente lang machen, müssen noch zum Strand und, und, und.

Dienstag, 5. August 1997

Wetter bedeckt, Zeitung von Samstag. Wie beschlossen, sollte heute die Radtour im Landesinneren entlang der Charente stattfinden. Wir fuhren bis zum Bahnhof St. Savinien. Dort fing es an, leicht zu regnen. Sollten wir, oder sollten wir nicht? Erst mal zur Post gegenüber, zwei Briefe abschicken. Dann in den Bahnhof rein, fragen, ob man von Saintes aus, dem Ziel der Radtour, bei der Bahnrückfahrt die Fahrräder mitnehmen könne. Die Abfertigung der Bäuerin vor uns, die mit ihrem Enkel und ihrem erwachsenen Neffen nach Paris wollte, dauerte 15 Minuten. Wir hätten nicht geglaubt, dass der Vorgang tatsächlich mit dem Kauf einer Fahrkarte abgeschlossen würde. Die Antwort auf unsere Frage war ein unverständlicher Wortschwall mit der Tendenz „Im Prinzip nein“. Wir sagten „Merci“ und bauten die Fahrräder zusammen, da es aufgehört hatte zu regnen. Als wir aufsteigen wollten, fing es wieder an. Es war also besser, wieder abzubauen und mit dem Auto zum nächsten Etappenziel zu fahren, dort weiterzusehen und neu zu entscheiden. Wir hatten die Charente schon bei der Urlaubs-Anreise von der Autobahn für einen kurzen Moment gesehen und sofort gewusst, dass sie ein gutes Rad-Revier ist. Die Charente ist in diesem Abschnitt ein langsam und träge fließender Fluß in der Breite der Weser bei Hameln. An den Ufern Weiden, Wiesen, Muh-Kühe und Üppiges aller Art. Das Land ist hügelig, im gleichen Tal verläuft ebenfalls die D114 und die zweigleisige Bahnlinie La Rochelle – Saintes. Wir hielten im Ort Taillebourg an einem Pique-Nique-Platz zwischen Ufer und Bahnlinie an und suchten im Ort einen Bäcker, um ein Chausson-aux-Pommes zu kaufen (das sind keine Fritten). Trotz heftiger Suche war natürlich keiner zu finden. An zur Mittagszeit lecker-herausriechenden Restaurants vorbeikommend, für deren Besuch aber weder finanzielle Kapazität noch das notwendige Styling vorhanden war, gelangten wir zum Schloß bzw. zur Burg. Das war ein Komplex auf einem Hochplateau mit Steilkante zum Fluß/Bahn/Dorf/Tal mit altem Baumbestand, heruntergekommenen Gebäuden, meterhohen Buchsbaumhecken-Labyrinth und einer das Plateau begrenzenden Balkonbrüstung im Neo-Renaissance-Stil. Zwar wäre strahlend blauer Himmel passender gewesen, doch hielt der Eindruck auch dem trüben Regenwetter noch Stand. Von oben war das dörfliche Ensemble im Überblick zu bewundern: Straße, Bahngebäude, Brücke, alles war stimmig. Zur Perfektion fehlten eine Tankstelle und ein kleines, familiäres Hotel mit regionaler Küche, trotzdem lautet die Gesamtklassifizierung: „Magische Stelle“. Nach dem Abstieg fanden wir unmittelbar am Ausgangsort die gesuchte Boulangerie. Warum nicht gleich so. Auf einer nassen Mauer am Ufer hielten wir unter unserem großen Regenschirm während eines sehr schönen Schauers eine improvisierte Zwischenmahlzeit mit Wurstbrötchen, Chausson-aux-pommes, Mars und Appi. Dies war der schönste Moment des Urlaubs. In Saintes angekommen, galt unsere erste Amtshandlung dem Wiederfinden der Bar, in der wir 1980 auf der Durchreise einen „grande café‚“ aus einer grünen Tasse mit goldenem Rand für damals 6 Francs getrunken hatten, nachdem es unseren damaligen Mitreisenden, Rolf und Magdalena Ulker, mit ihrem schnellen Golf nicht gelungen war, uns mit unserem 34-PS-Käfer über hunderte von Kilometern auf dem Weg von der äußersten Westspitze der Bretagne ins südatlantische St. Girons abzuhängen. Wir fanden die Straße, die Stelle, aber die Bar war nicht mehr eindeutig auszumachen. Wieder ein geplatzter Mythos. Es hatte sich jetzt eingeregnet. Wir parkten City-nah am Charente-Ufer gegenüber einem echt römischen Stadttor oder Triumph-Bogen oder dgl. und betraten die Fußgängerzone der sehr kompakten Sainter Altstadt. Die Kathedrale St. Pierre hatte über Mittag zu. Da die Innenstadt wie gesagt sehr kompakt war, begegneten wir andauernd und wiederholt anderen Touristengruppen, meistens Tommies, die ebensfalls hilflos durch die Stadt stolperten. Manche hatten noch nicht mal einen Schirm. In einer Creperie fraßen wir Galette bzw. „Salade Chèvre-chaude“ und tranken gepanschten Wein mit Lakritz-Geschmack. Alles total so-la-la und die Bedienung bescheuert. Entsprechend fiel das Trinkgeld aus. Nach weiteren drei Stadtumrundungen unter Ignorierung des archäologischen Museums, wo man antike Steinbrocken lieblos aufeinandergestapelt hatte, machte die Kathedrale St. Pierre wieder auf. Sie hatte leider nur wenig zu bieten. Dem eingehenden Studium der gekauften Ansichtskarten war zu entnehmen, das die Kirche St. Eutrope wesentlich interessanter gewesen wäre, aber die zum Wolkenbruch gesteigerte Witterung ließ diesen Umweg nicht zu, sondern führte vielmehr in ein abgewracktes Kaufhaus zwecks vergeblicher Suche nach Mitbringseln für die Daheimigen. Auf dem schnellsten Weg fuhren wir zurück nach Bad Ronz. Es regnete die ganze Zeit. Abends Foto vom Kirchturm in Marennes.

Mittwoch, 6. August 1997

Wetter: Vormittags bedeckt, Zeitung von Montag, Petit dejeuner au Terasse, ab 15 Uhr Regen, nachfolgend Schauer. Zu Mittag aßen wir gemischten Salath und Crevettes roses mit Knoblauchbutter. Die zusätzlich gekochten zwei Kartoffen von je einem dreiviertel Pfund schafften wir nicht mehr, sie waren sowieso nicht gar und wurden daher als Bratkartoffeln für den Abend projektiert. Auf dem Markt gab es endlich auch die dringend benötigten Mitbringsel für die Erwartungsvollen daheim. Eine Überprüfung vor Ort ergab, dass der wöchentliche Antiquitätenmarkt in Tremblade nicht stattfand. Aus der Aschenbechersammlung wird wohl nichts. Um 14 Uhr erschien grußlos und in Gummistiefeln Madame Delemontez und legte los, mit dem Rasenmäher die letzten Reste Grün im Garten wegzureißen. Brigitte wurde rammig und flüchtete an den Mus de Loup. Udo blieb, Zeitunglesen-vortäuschend, um Madame in einem passenden Moment beseite zu nehmen und ihr die immer noch nicht bezahlte Kohle für das Haus aufs Auge zu drücken. Aber trotz luchs-scharfen Aufpassens war Madame hintenrum entwischt. Wir fuhren ihr mit dem Rad nach und stellten sie zuhause. Monsieur war nicht da. Nach dem Austausch von ein paar Höflichkeiten war das erledigt. Was bleibt noch? Die zweite Hälfte vom Salath, die Bratkartoffeln, packen, putzen, der Kauf einer Wasserpistole. Die Praxis wird morgen früh wieder nach Paderborn verlegt.