Skip to main content
Unterwegs

1998 · Ostern im Schnee in Konstanz

By 19. März 1998No Comments

Ostern 1998 am Bodensee

Karsamstag, 11.4.1998
10.00 Start. Erste Station: Bahnhof PB, eine PAGE kaufen. Als wir die hatten, merkten wir, dass wir zu Hause die bereitgelegten 170 Schweizer Franken vergessen hatten. Also noch mal zurück. Endgültiger Start war 10.15 Uhr. Es ging zügig voran. Echtes Reisewetter, keine Staus. Vor Würzburg machten wir eine Kaffeepause in einer Raststätte mit Panoramablick. Am Nebentisch pissten die Köter auf den Boden und die Bedienung machte es wieder weg. An Tauberbischofsheim kann man nicht vorbeifahren, ohne sich an das Schnitzel im Restaurant Schlossturm zu erinnern, damals, 1982 um 21 Uhr. Auch Lauda weckt mehrfache Erinnerungen: Das Interview bei den Lauda-Werken mit Walki und der Currywurst hinterher. Udo wäre gerne noch geblieben, um restlos hinter das Geheimnis „der Dölle“ dieser Stadt zu kommen, wie es ihm ständig beim flüchtigen Besuch fremder Städte geht. Bei der ersten netten Straßenecke glaubt er, dass dies wahrscheinlich erst 10 % der Spitze des Eisbergs sind, den es zu entdecken gilt. Mehr dazu später. Hinter Stuttgart bauten sie immer noch an einem neuen Tunnel, wie schon voriges Jahr. Ohne anzuhalten erreichten wir den Bodensee. Es war kalt und grau. In Dingelsdorf suchten und fanden wir das Haus, schlimmer als befürchtet. Ein winziges, völlig verbautes und für die Gegend untypisch mit Reetdach gedecktes, in 6 Appartments unterteiltes Haus, von denen wir das kleinste in der Mitte bekamen. Das Wohnzimmer hat selbstverständlich kein Fenster, und die Küche ist das Treppenhaus.

Ostersonntag, 12.4.1998
Beim Aufstehen herrschte draußen Schneeregen, normal für Ostern am Bodensee. Die Nacht war schlimm, da der Kühlschrank und die Heizung ziemlich laut rappelten. Außerdem haben manche gefroren. Nach dem Frühstück machten wir einen kleinen Osterspaziergang durchs Dorf und trafen einen unerwart Netten: Ein Bauer, der grade Eiher aus dem Stall holte, wünschte uns „noch schöne Oschtern“. Das Dorf gefällt Brigitte nicht. Kaum noch dörflich, aber trotzdem nicht städtisch. Zu Mittag gab es mitgebrachtes Hühnergeschnetzeltes mit Reis. Für die Salatsoße standen hausseits trotz der Ankündigung von Frau Schwanz, der Eigentümerin, „Alles Notwendige ist immer vorhanden“ nur Obstessig, Salz, klumpiger Pfeffer und ranziges Öls zur Verfügung. Seine Heiligkeit spendete im Fernsehen den Segen für die Stadt und den Erdkreis. Während des Mittagessens fand das Ostereiersuchen der halbwüchsigen Nachbarkinder im Garten und auf der Terrasse statt. Bei den dazugehörenden Erwachsenen handelte es sich zumindest um einen Altlehrer mit Frau und einen Junglehrer. Alle anderen Erwachsenen lassen sich nicht genau zuordnen. Nach dem Mittagsschlaf besserte sich das Wetter etwas und zeitweilig kam sogar die Sonne durch. Wir fuhren nach Reichenau und umrundeten die Insel zu Fuß nach Vorschrift, unter Einbeziehung aller drei Kirchen, Kauf eines Bounty auf einem Campingplatz und Besteigung des Aussichtshügels auf der Inselmitte. Im Wanderführer war von 4 Stunden Gehzeit die Rede, wir schafften es in 3:15. Völlig kaputt vom Laufen, bestand das Abendprogramm nur aus dem Verzehr der aufgewärmten Reste vom Ostermenü und anschließendem Lesen. Für die Nacht wurde der Kühlschrank ausgeschaltet.

Ostermontag, 13.4.1998
Die Hausmeisterin hatte uns den auch an Sonntagen geöffneten Campingplatzladen für den Brötchenkauf empfohlen, was wir nun ausprobieren wollten.  Wir fanden aber keinen Laden und fuhren mit dem Auto nach Dingelsdorf, weiter nach Litzelstetten, Wollmatingen, Dettingen und Wallhausen, alles vergebens, kein Bäcker oder Laden hatte offen. So sind die Schwaben. Wieder hatte dichtes Schneetreiben eingesetzt. Gut, das mitgebrachte Paderborner Brot war noch nicht alle. Gegen 15.15 Uhr ging es auf Erkundungstour. Von Bodman, etymologischer Namensgeber für den Bodensee, versprachen wir uns einiges. Eine nette Kleinstadt am Seeufer, mit vielen schönen Sehenswürdigkeiten dicht beieinander. Ein paar Cafés würden Schwarzwälder Hirsch zu dörflichen Preisen bereithalten. Auf dem Weg dorthin nur Schneegestöber. Im Ort: nix los, eiskalt, windig, lausig. Die Kirche: eine durchschnittliche Dorfkirche. Die Kneipen: rutergekommen, zu, ungemütlich.

Weiter gings nach Radolfzell, wo wir damals, 1984, auf dem Weg an den Comer See zwischenübernachten wollten, uns dann aber wegen Nichtfinden eines Hotels für Konstanz/Mainaublick entschieden hatten. Unsere Erinnerung erhöhte Radolfzell zur Steigerung von Bodman: Eine quirlige, vor prallem Leben platzende Kleinstadt mit Sehenswürdigkeiten so viele, dass man gar nicht mehr hinkucken wollte, Unmengen von schicken Budiken, italienischen Restaurants, vollbesetzten Straßencafés, einer vibrierenden Uferpromenade wo die Reichen und Schönen in offenen Porsches auf und ab heizten, eine Schweiz am Rande der Schweiz. Über allem wachte freundlich der Turm des Münsters oder Rathauses im alemannischen Stil, also mit steilem Krüppelwalmdach, was der ganzen Szenerie etwas idylisch-romatisches gab. Soweit die Erinnerung von damals. Heute jedoch: Den Turm gab es nicht, obwohl wir ihn hätten beschwören können, die ganze Hoffnungen dieses Urlaubs. Er hätte mit seiner massigen badisch-alemannischen Gemütlichkeit ein Gelingen garantiert. Die flanierenden und promenierenden Massen hatten sich aufgrund der Temperaturen um null Grad nicht aus ihren Häusern getraut. Kneipen waren geschlossen oder menschenleer. In den Budiken überwog die Omma-Mode. In der Bahnunterführung (einziger Zugang zum Seeufer) stank es widerwärtig und der dortige Kiosk hatte nur scheußliche Ansichtskarten im Angebot. Wir besuchten das Münster, lt. Reiseführer schon ein halber Dom. Der Organist übte was Barockes, und wir wärmten uns dankbar etwas auf. An der Untersee-Seite ging es zurück nach Dingelsdorf ins Reethaus, wo Brigitte anschließend ein Buch fraß.

Da wir trotzdem noch Hunger hatten, kauften wir in Litzelstätten an der Straße in einer Kneipe zwei Pizza zum Mitnehmen. Schweineteuer und eine übler als die andere, sodass wir ein Gutteil davon im Biomüll entsorgen mussten. Wirklich. Vielleicht wäre es besser gewesen, die lt. Eigenwerbung ebenfalls erhältlichen sog. „Dünnele“ zu kaufen. Beim Abendessen lauschten wir dem Horror-Wetterbericht von SWF3, einem einstigen Kultsender, den (vor einigen Jahren) empfangen zu können, viele bereit waren, die Heimat zu verlassen und ins Sendegebiet zu ziehen, was immerhin bis hinauf nach Süd-NRW möglich ist. Das genaue ausgiebige Hören von SWF3 bestätigt allerdings den schon immer gehegten Vedacht, dass auch dieser Mythos ziemlich hohl ist und wir froh sein können, im Sendegebiet von WDR2 und Einslive zu leben.

Osterdienstag, 14.4.1998
Schön wäre ein Frühstück mit frischen Brötchen dachten wir. Warum? Sowas denken wir zuhause doch auch nie. Also wurden welche losgeschickt, Brötchen und Mineralwasser zu holen. Ohne Umwege ging es nach Dettingen zum Bäcker. Dort gab es einige wenige nahezu dänisch anmutende Watte-Brote und ein dunkles Brot, das Schwarzwald-Laible. Genau das nahmen wir. Weiter zum Supermarkt. Der Supermarkt verfügte über eine riesige Brot-Ecke mit allen erdenklichen Sorten. Doch zunächst mussten die Ansichtskarten bewundert werden. Dabei erwischte uns eine ältere Verkäuferin: „Suche Sie etwaas b’schtimmtes?“ Uns wurde damit klar, dass hier so früh morgens die Suche nach Ansichtskarten noch nicht gestattet ist und wir sagten mit verzagter Stimme: „Ja, Mineralwasser“. Ein therapeutisches Kurzgespräch. Auf dem Rückweg kurz die Abfahrtstabelle des Schiffes studiert. Nach dem Frühstück gingen wir zur Schiffslände, waren zu früh da und warteten bis 10.55 Uhr, um mit dem Schiff nach Überlingen zu fahren. Bei relativ phantastischem Wetter starteten wir die Wanderung in nordöstlicher Richtung. Erste Station: Ansichtskarten. Dann das „Münschter“, das sich endlich und tatsächlich als der halbe Dom erwies, der Radolfzell hätte sein sollen. Ein „Münschter“ der Extraklasse. Üppig ausgestattet, aber noch klar in den architektonischen Grundzügen. Kein überladener Rockoko-Tinneff. Weiter ging’s. Rundherum dunkle Wolken, nur wir allein wandelten in einem Sonnenstrahl. Kurz vor Birnau wurde es grau. Wir erpilgerten es uns redlich. Eine Kerze anzuzünden war unser Auftrag. Es wimmelte dort aber vor Leuten, die einfach mit dem Auto hingefahren waren und es herrschten verschärfte Bedingungen: Kein Fotografieren, keine Kerzen, damit der barocke Zauber nicht verrußt. Wir betrachteten ausgiebig die von Anton Feuchtmayer und Ulrike Hauser geschaffenen schrägen Figuren, kauften den halben Klosterladen leer und gönnten uns auf der großen Terasse vor der Kirche einen Café Crème aus dem Plastikbecher für DM 5. Die Sonne war wieder da. Nach etlichen Birnau-Fotos mit und ohne Bahnlinie wanderten wir weiter nach Unter-Uhldingen, wo wir das Pfahlbau-Museum keines (inhaltlichen) Blickes würdigten. Der Museumsbau selber gefiel uns gut: Eine freundliche, moderne Holz-Stahl-Architektur, wie man sie hier bei vielen Neubauten findet. Zwar waren in Unter-Uhldingen jede Menge Kneipen und Cafés im Halbkreis um den Hafen versammelt, aber der scharfe Wind von vorn und „die Männer“ mit dem Preßlufthammer machten einen angenehmen Aufenthalt unmöglich. Die Kräfte reichten noch für die 5 Kilometer bis Meersburg, um die Wanderung Nr. 35 aus dem Wanderbuch zu vollenden. Dort endlich angekommen, liefen wir die See-Promenade drei mal auf und ab, um die definitiv beste Kneipe zu ermitteln. Schließlich war es die allererste. Wir kauften ein Stück Kuchen, ein Eis und ein Kännchen Kaffee. Mit dem Schiff (intensiver Alpenblick) ging es nach Konstanz, wo wir beim Konzil ankamen. Aber kaputt vom Laufen und durchgefroren vom Schiff waren wir nur noch in Lage, auf den Bus zu warten und nach Hause zu fahren. Das Abendprogramm bestand aus Lesen.

Ostermittwoch, 15.4.1998
Wetter: grau. Nach dem ausgedehnten Frühstück war trotz schmerzender Füße und Hüften die Wanderung Nr. 32 dran: Am Steilufer des Überlinger Sees von Wallhausen über Marienschlucht nach Bodman. Es ging durch den noch lichten Wald immer flach zwischen 2 und 20 Meter oberhalb des Ufers entlang. Wir fotografierten Blümchen und grüßten Wanderer. Die Marienschlucht war nahezu beeindruckend schluchtig. Man würde später mit dem Auto von hinten noch mal dranfahren, um sich im Rahmen der Bodman-Wanderung für heute den mühsamen Aufstieg zu sparen. Trotzdem war die „Wanderung“ per definitivum erfüllt: Rucksack, Bergstiefel, Picknick. So sehen nicht die Attribute des Spaziergangs aus. Gegenüber Sipplingen kam dann das Picknick. Mit dem 200er suchten wir das gegenüberliegende Ufer nach dem Pumpwerk ab, aus dem das halbe Ländle sein Trinkwasser bezieht, aber wir fanden es nicht. Ein ungeklärtes Mysterium. Die Reststrecke bis Bodman wurde uns schwer, da wir nun zu dick angezogen waren. Wir schleppten uns mit letzter Kraft so hin. Außerdem wussten wir schon vom Montag, dass uns in Bodman nichts Umwerfendes erwartete. Nach dem üblichen mehrmaligen hin und her waren in der Pavillon-Kneipe alle vorher besetzten Tische wieder freigeworden und wir ließen uns ein Stück Kuchen servieren, das mit der Bezeichnung „Schwarzwälder Hirsch“ nicht übereinstimmte. Gummi-artige Sahne, an der Oberfläche stark eingetrocknet, geschmacklich am DIN-A4-Blatt orientiert, mit „Kännchen“ Kaffee und Glas Tee 16 Mark. Nun ja. Lichtblick: Es gab auch die neue Brigitte. Nach dem Blick auf den Busfahrplan war uns klar, dass die Rückreise lang und beschwerlich sein würde. Aber zu Fuß kam leider nicht in Frage. Wir entschieden uns für die Variante Überlingen – Meersburg – Konstanz statt über Radolfzell. Die Busfahrt dauerte eine Stunde. Es ging leer los und wurde immer voller. Während der Fahrt stellten wir durch sehnsüchtige Blicke fest, dass es überall schöner gewesen wäre zu wohnen als in dem bekackten Dingelsdorf. Gerade das Nordufer des Sees machte einen viel gepflegteren und nach genügend Geld riechenderen Eindruck. Das heißt – es sah prinzipiell überall, am ganzen See so aus, außer natürlich in der Gegend Litzelstetten, Dingelsdorf, Wallhausen, Dettingen. Treffsicher in die Kacke gepackt. Die Endstation Meersburg fand diesmal ohne „touristisches Rahmenprogramm“ statt, es ging direkt auf die Fähre nach Staad. Überraschung: Der Preis. 2,40 DM pro Kind, das war hochanständig. Dazu kam ein Alpenblick wie noch nie. Föhn? Auf dem Säntis konnte man jede Baumspitze erkennen. Später holten wir an der Tankstelle in Konstanz Dieselkraftstoff und Bier und an einer ambulanten Straßenbraterei ein halbes gegrilltes Hähnchen. Die Schlafenszeit wurde auf 21.00 Uhr festgesetzt.

Osterdonnerstag, 16.4.1998
Wetter: Kalt mit sonnigen Abschnitten. Heute haben wir 7 Sachen geschafft:
1. Nach dem Frühstück ging es mit dem Auto zur genauen Erkundung der Marienschlucht. Der anderen Wanderer waren es zuwenig, um sie zu ignorieren und zu viele, um sie zu grüßen, und man merkte, dass es denen genauso ging. Eine peinliche Grundatmosphäre hing im Steilhang. Bei den älteren bot sich daher ein stummes Nicken an, jüngere haben meistens den Tunnelblick. Die Schlucht war wirklich doll. Sie lag voll mit vor langer Zeit umgekippten Baumstämmen. Die, welche im Weg lagen, hatte man durchgesägt. Unten fand sich ein Osterei und wir stiegen wieder auf. Oben war uns warm geworden.
2. Einkauf im Supermarkt von Dettingen: Wein vom Staatsweingut Meersburg, zwei Konstanzer Biere zum Vergleichstrinken und diverse andere Dinge: Wir gingen in den Keller, Abteilung Haushaltsartikel. An der Treppe wurden wir aufgehalten: „Was suchet Sie?“ Eine Zitronenpresse aus Plastik. „Aus Plaschtik! Die habet wir dahinten!“
3. Ein komplettes selbstgekochtes Mittagessen: Reis, Möhren + Schampinjongs, die letzen Reste des Eisbergsalats vom Gründonnerstag. Dazu ein Müller-Thurgau vom Staatsweingut Meersburg, angeblich trocken mit 12 %, was wir kaum glauben konnten, denn er prickelte zwar, schmeckte aber deutsch und quietschsüß. Nach dem Essen ein spanischer Kaffee und den Kopp vom Stiegemannschen Osterlamm. Das ganze fand trotz erheblicher Temperatur-Bedenken auf der Terrasse statt. Die Nachbarn machten leider das selbe, so dass als Gesprächslautstärke nur gedämpftes Flüstern möglich war.
4. Nach knapp einer Woche Aufenthalt hier war der Besuch in der Metropole angesagt. Wir wussten: Der Bus fährt halb und voll. Wir ließen es zehn vor werden und rannten dann, bis uns die Zunge zum Hals raushing. Immer geht es uns so. Nie können wir pünktlich sein. Der Bus kam schon um die Kurve, als wir noch Richtung „Ortmitte“ rannten. Geschafft. Tatsächlich geschafft. Nie hätten wir einen solchen persönlichen Erfolg für möglich gehalten.
5. Besuch des archäologisches Landesmuseums (ALM). Das ALM war in einem Schloss untergebracht und modern und vielversprechend eingerichtet. Wir begnügten uns mit dem Museumsshop, blätterten ein paar Prospekte durch und kauften etliche Ansichtskarten. Voller Erfolg.
6. Ausgedehnter Stadtbummel durch die wesentlichen Abschnitte der Fußgängerzone unter Einbeziehung eines Münschterbesuchs Das Münschter enttäuschte aber hinsichtlich Atmosphäre und Ausstattung. Wieder konnten wir die Opferkerze nicht anzünden, weil eine Andächtige im Wege saß und die Aktion daher aus Pietät nicht fotografiert werden konnte. Außerdem rannte ständig der Küster hin und her und wechselte die Kerzen aus. Uns wurde klar: Hier herrscht Opferkerzenüberschuss, sie werden damit nicht mehr fertig. Auch die erhoffte Turmbesteigung war wegen umfangreicher Außenrestaurierungsmaßnahmen nicht möglich. Offizielles Ziel des Stadtbummels: Das Rosgartenmuseum mit seinen Abteilungen Prähistorik, Mittelalter, 19tes und Moderne. Wir kamen pünktlich im 17 Uhr an. Zu. Und wir beschlossen, ein andermal wiederzukommen. Nach dem Stadtbummel bereiteten wir uns intensiv auf das angesetzte offizielle große Essengehen vor, indem wir zunächst am Konzil vorbei durch den Hafen schlürten und das Restaurant „Hafenhalle“ ins Auge fassten. Die Hafenhalle war zusammen mit einigen anderen Kneipen und einem Laden für Segelbedarf in einem umgebauten Schuppen zwischen Schweizer Bahnhof und Hafen untergebracht. Zum warming-up gab bei einem Franchise-Italiener im gleichen Komplex inmitten von Teenies einen echten Cappucino und einen Kaffee. Fasziniert beobachteten wir das ständige Ein- und Auslaufen der weiß-lila-orangenen Mittelthurgaubahn. Danach meldeten wir uns an der Schweizer Grenze beim zuständigen Beamten zum Kauf einer Autobahn-Plakette, da für morgen der große Schweiz-Tag angesagt war. Obwohl ein Betreten des Schweizer Staatsgebiets nicht beabsichtigt war, fragte der Officer sofort, was in dem (Foto-)Koffer sei. Wir vermuten, dass die Schweizer, die an sich schon sehr uncool sind, an ihre Grenzen nur die wirklich Härtesten schicken. Schweren Herzens verkniffen wir uns, Provokationen wie „Waffen, Drogen, Organe“ o. ä. zu antworten. Wir wurden vorsorglich einen Meter zurück in Richtung Deutschland geschickt und durften gegen Zahlung von 40 Franken eine Autobahnplakette erwerben.
7. Das große, schicke Essengehen. In der Hafenhalle aß Brigitte Forellenfilet mit grünem Spargel und Kartoffeln und Udo weißen Spargel mit Schinken und auch Kartoffeln. Es gab reichlich Butter, genug Brot und für teure 4,60 DM pro Stück etliche 0,3 l Biere. Etliche. Das Publikum bestand außer uns nur aus schwäbisch bis schweizerisch sprechenden Menschen. Man fühlte sich wie im Auslandsurlaub. Um 20 Uhr  ging es mit dem Bus wieder zurück nach D. Der Tag klang bei einem Konstanzer Bier aus.

Osterfreitag, 17.4.1998
Wetter: Bedeckt mit leichten Sonnenvorstößen. „Die Männer“ machten unseren Abwasserkanal frei. Wir traten das Abenteuer Schweiz-Reise an. Volle Straßen stockenden Verkehrs in Konstanz mit nur einem einzigen Grenz-Übergang ließen eine Stunde verstreichen, bis wir da waren. Wie immer, löste der Gedanke an den Aufenthalt „drüben“ zunächst Beklemmungen und angespannte Nervösität aus. Ja, Angst. Schon vorher. Würde man unsere Ausweise anerkennen, obwohl wir mittlerweile nicht jünger geworden waren und auch andere Brillenmodelle aufhatten? Darf man mit einem schäbigen Golf in das Land der BMWs, Audi-A-Sechse und Ferraris überhaupt hinein? Würde unser mitgeführter blauer Asi-Annorack bei einer zufälligen Kofferraumkontrolle das Aus bedeuten? Der Schweizer Grenzbeamte fragte: „Führen Sie Waren mit?“ und wir dachten, verdammt, natürlich, jetzt ist alles vorbei. Die Kantonspolizei würde uns nach zweistündigem Verhör in Schwyzerdütsch an den deutschen Grenzschutz ausliefern, denn sind der Asi-Annorack, unsere Butterbrote, die Landkarte, Brigittes Perlenkette, die Bergstiefel etc. nicht alles „Waren“ im Einreise-verhindernden Sinne? Wie leicht und locker hatten wir dagegen vor Jahren die von vielen als „scharf“ empfundenen DDR-Kontrollen genommen. Mit letztem zusammengenommenem Kleinmut logen wir knapp „Nein“ und siehe da: Schwupp ging es doch. Das Wetter war sonnig warm und eine Weile hinter Kreuzlingen hatte sich unsere Herzfrequenz nach unten eingepegelt. Die Gegend präsentierte sich als die Bilderbuch-Schweiz, wie man sie kennt und liebt. Grüne Wiesen, hügeliges Land, im Hintergrund die Alpen, wenig befahrene breite Straßen, aufgeräumte Ortschaften mit ungewohnt klingenden Hinweis- und Werbeschildern. Wir machten zwei Fotos von der Straße mit dem Säntis und vom See. Ziel war St. Gallen und dort die zum Weltkulturerbe gehörende Klosterbibliothek. St. Gallen, das wir uns ungefähr so groß wie Kloster Dalheim vorgestellt hatten, war in Wirklichkeit eine richtige Stadt, fast sogar Großstadt. Wir parkten erstaunlich problemlos im Parkhaus und gingen zu Fuß in die Altstadt. Zunächst besichtigten wir den barocken Dom, der o.k. war, jedenfalls o.k.er als das Konstanzer Münschter und konnten sogar endlich eine Kerze anzünden, nur wurde nicht klar, wem zu Ehren. Dann machte pünktlich die Bibliothek zu und wir suchten in einer der Altstadtgassen eine kleine Kneipe auf, wo sich alles um Senf drehte. Obwohl noch überall Platz war, durften wir eintreten und uns hinsetzen. Sie hatten als speziellen Gag zig Sorten Senf, dazu fraß man vorzugsweise Wurstplatten. Brigitte nahm vegetarische Brokkoli-Tortellini und Udo Bärlauch-Spätzli. Schweizer Bier. Schümli-Kaffee. 40,50 Franken. Die Stadt war ganz nett, nach absoluten Maßstäben aber nur durchschnittlich. In der Bibliothek mussten alle Besucher Pantoffel überziehen. Eintritt 7 Franken. Wir warteten auf die Führung um 14 Uhr. Man sah von allem lediglich den Barocksaal. Ein älterer Herr führte in versuchsweisem Hochdeutsch eine etwa 25 Leute umfassende Gruppe Interessierter. Das Parkett knartsche unentwegt. Mit vielen Lachern über seine eigene Witzigkeit machte der Mann dem Publikum klar, dass seine Bibliothek insgesamt und jedes Buch für sich weltweit wirklich das Größte sind. Leider verkniffen wir uns die brennende Frage, warum sie sich so zickig anstellen, das dort aufbewahrte Paderborner Epos für die 799-Ausstellung nächstes Jahr herauszurücken. Auf dem Rückweg zum Auto hatte ein Schauer eingesetzt, das schöne Wetter war vorbei. Wir kauften noch ein Teilchen und verzichteten darauf, die Fahrt gegen den Uhrzeigersinn um den See fortzusetzen. Schade, Bregenz, Lindau, Friedrichshafen hätten noch nett werden können. Unser urprünglicher Plan war sogar der: Vormittags St. Gallen, nachmittags Basel, Kunstmuseum. Um 17 Uhr erreichten wir über Rorschach und Arbon Romanshorn, welches man vollständig vergessen kann. Ein abweisendes, kein bischen nach Geld aussehendes und seit dem Einstellen des Eisenbahnfährverkehrs 1976 im Niedergang befindliches Kaff, das depressiv macht und wo folgerichtig nur eines passieren konnte: Udo trat in Hundekacke. Es reichte endgültig. Um 18 Uhr waren wir wieder in Dingelsdorf und verzehrten schweigend bei der wider Erwarten doch noch eingetroffenen Neuen Westfälischen vom Donnerstag unsere Hasenbrote.

Weißensamstag, 18.4.1998
Die Nachbarn links (Lehrerfamilie) machte sich ans Aufbrechen. Der weiße Samstag stand im Zeichen eines vertiefenden Stadtbesuchs mit intensivem Museumsanteil und dem Einkaufen diverser Dinge. Den Bus schafften wir so pünktlich, dass wir noch warten mussten. In der Stadt schlugen wir uns zuerst zum Rosgartenmuseum durch. Ohne an unsere preisgünstige Kurkarte zu denken, zahlten wir den vollen Eintritt. Wir schauten uns die Sammlung an: Mittelalterliches, 19tes Lokales und als „Museum im Museum“ das im Urzustand belassene Lapidarium des Museumsgründers. Unmengen von Steinen und Versteinerungen in alten Vitrinen mit altertümlichen Beschriftungen. Nach einer Stunde waren wir wieder draußen, obwohl der Kartenknipser vor einem voraussichtlichen 4-5stündigen Rundgang gewarnt hatte. Anschließend war es schwer bis unmöglich, im Regen eine uns genehme Kneipe zu finden. So landeten wir in einer Eisdiele und wärmten uns dort etwa auf. Bei Woolworth im Keller gab es die Lebensmittel fürs Wochenende. Anschließend tigerten wir zum Archäologischen Landesmuseum, um uns die Ausstellung und die Sonderausstellung „Römischer Beton“ anzusehen. Es war voll anstrengend; und nicht mehr könnend, blieb uns nur noch die Museumskneipe, wo wir uns bei Kaffee, Kuchen, Baguette und Wein wieder etwas erholten. Daheim wurde etwas relaxed, bevor wir zum großen, schicken Essengehen schweren Herzens nach Überlingen aufbrachen. Denn eigentlich hätte es nicht so weit gemusst. An zig Überlinger Kneipen war immer irgend etwas unpassend oder besuchsverhindernd, und mit Ach und Krach landeten wir in einem typischen Bodensee-Großrestaurant mit 300 Plätzen und eingebauter Gemütlichkeit. Für viel Geld nahmen wir vorlieb mit „Bodensee-Felchen“ auf dem Niveau von Kantinenfraß, mit etwas Garnitur auf dem Teller und serviert mit aufgesetzter Schnippisch-keit, die als Aufmerksamkeit verstanden werden wollte. Und dann noch zu wenig für unseren Hunger, sodass auch noch ein Nachtisch her musste. Andererseits ist das bei Fisch-Gerichten normal, die sind immer und überall zu klein. Insgesamt wäre ein Käse-Butterbrot zu Hause billiger, netter und bequemer gewesen.

Weißensonntag, 19.4.1998
Gemütlich ließen wir es angehen, bis wir gegen halb zwölf mal wieder in die Schweiz starteten. Deutlich lockerer als zuvor am Osterfreitag überquerten wir die Grenze. Unsere erste Amtshandlung drüben war (unnötigerweise, wie sich später herausstellte) Geld aus dem Automat ziehen. Wolkenbruch zwischen Winterthur und Zürich, zweites Frühstück während der Fahrt, starke aufkommende Schweiz-Niedlichkeit nach dem Verlassen der Autobahn bei Horgen. Zug und den Bleichimattweg fanden wir problemlos. Nach der Begrüßung folgte das dritte, ausgedehnte (Jazz-)Frühstück bei Frans van Koppen. Auf Wunsch aller Beteiligten wurde gegen 15 Uhr das Haus verlassen, um sich zwischen den Alternativen Rigi-Besteigung, Stadtbesichtigung in Luzern, Erwandern des Wildspitz für drittens zu entscheiden. Unterwegs hielten wir an lohnenden Aussichtspunkten an und warfen Blicke tief hinab ins Tal, wo der Intercity von Zürich nach Milano wie eine Spielzeugbahn daherschnurrte. Leider kam man mit dem Auto nicht dicht genug an den Wildspitz heran und wir improvisierten abseits davon eine kleine Almwanderung, die wegen Planlosigkeit mit vollgematschten Schuhen schnell wieder abgebrochen wurde. Ein paar Kilometer weiter wanderten wir im Schnee auf den Gottschalkberg, wo in einer Kneipe für 10 Franken Kaffee, Apfelsaft und „Schoggi-warm“ erhältlich waren. Im Schneeregen erlebten wir oberhalb eines spektakulären Drei-Viadukte-Tals, wo wir kurz anhielten, einen farbstarken Regenbogen. In Zug wurde Frans‘ neue „Bekannte” Ruth alarmiert, die sofort kam. Kurze Zeit später fing die inszenierte Fondue-Prozedur an. Das Fondue kam längst nicht so schrecklich und folgenschwer, wie befürchtet. Brigitte hatte ein schweres Fondue-Trauma vorhergesehen und geglaubt, mit tonnenschwerem Magen, nach Luft schnappend auf dem Heimweg alle zehn Minuten eine Kotzpause einlegen zu müssen. Doch es schmeckte fast sogar lecker, der Wein, von dem wir aus alkoholtechnischen Gründen nicht viel durften, schmeckte ebenfalls, wir ließen uns davon noch eine Flasche für später mitgeben. (Die ebenfalls hinterhergeworfen bekommenen Toblerone-Stangen mussten wir daheim leider im Biomüll entsorgen, weil sie nicht nur abgelaufen waren, sondern auch so schmeckten.) Das gemeinsame Tischgespräche kreiste erwartungsgemäß um die Themen „Wie ist es hier und wie ist es dort.“ Vier Teilnehmer aus drei Ländern. Um 22 Uhr war Schluss. Konzentriert schweigend ging es durch das nächtliche Zürich ohne rechts und links zu kucken zurück nach Dingelsdorf.

Weißenmontag, 20.4.1998
Wir packten, reinigten und waren um 9.00 Uhr abreisebereit, mussten aber noch die Endabnahme durch die alte Hexe hinter uns bringen. Da der Telefonzähler nicht ging, schätzen wir die entstandenen Kosten allergrößtzügigst mit 20 Mark astronomisch hoch ein (wir hatten ein einziges mal 5 Minuten telefoniert) und ärgerten uns noch den ganzen Tag darüber. In Allensbach (Elisabeth Nölle-Neumann!) wurde getankt und eingekauft. Hinter Heilbronn gab es in der Sonne auf den Stufen vor einer Raststätte einen Coffee-to-go. Hinter Fulda fiel uns ein, dass wir gut Gelegenheit gehabt hätten, in Stuttgart Richtung Karlsruhe abzubiegen um dort das ZKM zu besichtigen. Komisch, auf Rückfahrten drängt es einen Teil der Reisegruppe immer zu Rahmenprogrammen, den anderen Teil auf kürzestem Weg nach Hause. Dort, um ca. 17.00 Uhr angekommen, war es schön warm. Uns empfing vor der Haustür der Schornsteinfeger, der seit drei Wochen angeblich jeden Tag einen Besuch zum Abgasmessen versucht hatte. Blödmann.