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Unterwegs

2007 Oostburg

By 14. April 2007No Comments
Unser erster Holland Urlaub

4. – 14.4.2007

Nähe Oostburg, Gemeente Sluis, Zeeuws Vlanderen, Nederland

Mittwoch, 4. April

Wie immer, mussten wir uns vor Abfahrt förmlich um die Kurve bringen, um noch alles Dringende vorher zu Ende zu bringen. Kunden, Projekte, und natürlich: die verdammte Steuer. Obwohl der Compi an diesem Mittwochmorgen aus bleiben sollte, wurde er wieder angeschaltet: für die Steuer. Noch in der Nacht hatten wir auch eins der wichtigsten fest angepeilten Ziele wieder gestrichen. In Antwerpen würden wir nicht per stopover im Brouwerij-Winkel von De Koninck den seit Jahren geplanten Kauf von 4 Stück „Bolleke“-Gläsern tätigen, sondern, weil zu spät dran, einfach weiterfahren. So kam es. Es war 13.30, als wir Antwerpen auf dem Ring passierten, und eine Stunde Umweg wegen 4 alberner Biergläser war es nicht wert. Dann lieber ein paar mehr nächtliche Spaziergänge am Strand. Zuvor gab es 1km vor der niederländisch-belgischen Grenze ein reduziertes Picknick auf dem Rastplatz. Reduziert wegen des fehlenden hartgekochten Ei’s. Eine riskante Entscheidung von der Mutter, auf das Ei zu verzichten, war dieses ritualisierte hartgekochte Hinreise-Ei doch in manchen Urlauben, aus der Distanz betrachtet, der eigentliche Höhepunkt. Statt dessen verfolgten wir das Schauspiel aus dem Auto steigender, vor unseren Augen an den Baum pissender Belgier.

Hinter Antwerpen ging es rechts ab auf die Nebenstrecke – halb Autobahn, halb Schnellstraße (Richtung Knokke) und als wir auch diese verließen, um nach Norden Richtung Zeeuws Vlaanderen abzubiegen, wurde es belgisch-niedlich. Auf Fotos zu verzichten, fiel uns schwer, aber wenn man erst mal anfängt…

Wegen der bevorstehenden Kontaktaufnahme mit der als streng, schwierig und nachtragend geltenden Frau Tims, welche über den Schlüssel verfügte und uns diesen zwischen 14.00 und 16.00 Uhr herauszurücken bereit sein sollte, war uns seit 12.30 Uhr flau und mulmig. Wir wären gerne bis in die Nacht weitergefahren und hätten lieber im Auto sitzend übernachtet als kleinlaut bei Frau Tims den bittstellenden Moffen gegeben. Der Mutter war dies jedoch weder beizubringen noch zumutbar gewesen und so fügten wir uns, verwarfen den Plan, traten die Flucht nach vorn an und klingelten bei Frau Tims, wissend, dass sie im Krieg viel durchgemacht hatte und aus ihrem verständlichen Hass auf die Deutschen keinen Hehl machen würde. Frau Tims bat uns hinein. Wir durften an einem Tisch sitzen mit Teppich drauf und fünf Minuten in deutsch small-talken. Unglaublich, wie sie sich zusammen riss. Sie hatte den Krieg gewonnen und trumpfte nicht damit auf. Später im Ferienhaus sahen wir, dass sie sogar ein Nest mit Ostereiern als Überraschung aufgebaut hatte. Gut, dass wir wiederum die vorbereiteten zwei Flaschen Paderborner Bier in Geschenk-Aufmachung überreichen konnten.

Das obligatorische Meckern über das Haus

(Klassische Schulnoten-Vergabe)

  • Äußere Niedlichkeit, Zustand der Gesamtanlage: 3
  • Effektive Gemütlichkeit: 4
  • Geschmackliche Trefferquote: 4-
  • Praktikabilität: 4
  • Elektrische Ausstattung: 3
  • Geruchsbildung: 5 (im Bad zwiebelig-rauchig-knoblauchig, im Schlafzimmer eine Mischung aus Plumpsklo und toter Maus unter dem Bett. Nach tagelangem Prüf-Schnüffeln haben wir die Nordwand als Grund ausfindig gemacht. Sie ist die ehemalige Außenwand des Hauses, das Schlafzimmer nur ein angebauter Verschlag, vermutlich über der ehemaligen Miste gründend.)
  • Heizleistung: 3 (Heizt im Prinzip gut, eine unverständlich programmierte Automatik verlangt jedoch, morgens viertelstündlich in 1,5-Grad Intervallen die Soll-Gradzahl nach oben zu treiben)
  • Klo: 3 (Udo) 4 (Mutter). Das Klo ist klein, vor allem in Sitzrichtung. Hat als Pluspunkte folgende Merkmale: breites Brett als Ablage für Literatur. Schießschartiges Ausstell-Fenster nach hinten Richtung Breskens. Saunamäßige Heizleistung, bringt auch den zuvor eingefrorenen Küttel in der Hose zum Schmelzen. Eigene Steckdose für Computer-Anschluss.
  • Dachgeschoss: 2 Schlafräume im offenen Spitzboden mit jeweils eigener Treppe (außerhalb der Wertung, da nicht benutzt.)
  • Telefon- /Internet-Anschluss: 6 (nicht vorhanden, W-Lan-Netze weder verschlüsselt noch offener Art in der Nähe auszumachen. Keinsterlei Internet-Cafés im Umkreis von 50 km entdeckt. Der Niederländer ist von-Haus-aus vernetzt, jedoch nicht von-Ferienhaus-aus.)
  • Bibliothek mit Local Info inkl. Zeitungen aus dem Jahr 2004 und Schund-Krimi “Tod in Cadzand”: 3. Die Mutter las ihn in einer Nacht.

Für die 420 km war nicht der ganze Tag draufgegangen und die Tagesordnung ließ noch weitere Punkte zu.

Stadtbummel in Oostburg

Oostburg machte den Eindruck des zum Stillstand gekommenen Wiederaufbaus nach dem schrecklichen Krieg. Es gab bemühte Akzente von gewollter Modernizität, z.B. beim Bau des Stadthauses (oder so). Geschwungene Asymetrie auf Stelzen, großzügiges Streben nach Höhe, klotzige Abstraktion der Kubischen Baumassen. Statt enger Gassen flaneuse Weiten mit hallenartiger Arkadik (oder so).

Auch an Eet-Cafés und Kneipen war kein Mangel und die Krönung des Ganzen war Albert Heijn, der Supermarkt mit einem wahrhaft umwerfenden Angebot an Frischlichem, Halbgarem und Speziellem. Wir kämen wieder, wenn die Fastenzeit vorbei wäre und z.B. Bierspezialitäten wie Grolsch, Jupiler, De Koninck, Duvel und Amstel wünken. In einem Schreibwarengeschäft kauften wir eine Landkarte vom Gebiet der Gemeente Sluis, das etwa so groß wie ein deutscher Landkreis ist.

Strandbesuch in Cadzand-Bad

Über Zuidzande und Cadzand Dorp gelangten wir nach Cadzand Bad am Meer. Sonnig, aber stürmisch. Wir Armen parkten statt für 3 € außerhalb umsonst und machten zu Fuß eine Runde zunächst am Dünenkamm entlang nach rechts bis zur nördlichen Strandbar (1st Wave), dann auf dem Strand, heilsam jodsalzig an der Wasserkante entlang. Im Moment des Schließens erwies uns eine Bäckerin noch die späte Gnade des Erwerbs von zwei Flappen – ein Kersflap und ein Appelflap für die Kaffeepause zu Hause.

Abendfahrt nach Breskens

Nach dem Genuss der nicht ganz durchgebackenen Flappen brachen wir auf, um mit dem Auto dem Sonnenuntergang entgegen zu fahren. Er sollte unserer Vorausberechnung nach zunächst in Breskens stattfinden. Unterwegs fand eine Kurskorrektur statt, wonach der Sonnenuntergang am Strand von Nieuwvliet Bad ablaufen würde. Wir kamen drei Minuten zu spät. Die Sonne verschwand hinter den allerhintersten Wolken. Direkt auf dem Horizont, vor der weitgehend unsichtbaren, aber ahnbaren Sonne, stießen gerade drei große Schiffe zusammen. Auf dem Gewässer vor der Westerschelde-Mündung ist immer höllisch was los. Hier sieht man den ganzen Tag große Pötte (Töpfe), die über die Westerschelde nach Antwerpen oder geradeaus weiter Richtung Rotterdam und vielleicht sogar Hamburg fahren. Wohin es in der Gegenrichtung geht, ist schwer zu sagen (wahrscheinlich Manila, Shanghai, Durban, Basra, Buenos Aires). (Korrektur 7 Tage später: Die Schiffe Richtung Rotterdam/Hamburg sieht man wahrscheinlich doch nicht, weil sie nicht die ganz enge Kurve durch die Westerschelde-Bucht fahren, sondern „weit draußen“ vor dem Küstenknick von Westkapelle her.)

Es stürmte heftig. 7° Temperatur, Tendenz fallend. Nach dem verpatzten Sonnenuntergang war uns nach warmem Auto und wir fuhren in die Zeeuws Vlaamse Metropole Breskens, welcher lt. dem im Haus ausliegenden Infomaterial einiges an Virulenz, Urbanität und quasi-mediterraner Leichtigkeit innenwohnen sölle. Z.B. eine Marina und jede Menge Fisch-Eet-Cafés. Die Cafés hatten heute ausnahmsweise alle schon zu. Das Licht war zwar noch halbschön, fotografieren ging jedoch aus drei Gründen nicht: zu kalt, zu dunkel, zu stürmisch. Wir verschoben das Erlebnis Breskens auf ein andermal und ruderten heim.

 

Gründonnerstag, 5. April

Zunächst Bodennebel. Die Automatik der Heizung musste erst überrumpelt werden, um die Heizleistung auf Maß zu bringen. Nach dem Frühstück schaute die Wetterprognose nach Grau-in-Grau mit sehr seltenen Sonneneinschüben aus, aber nicht mehr so windig-stürmisch wie Mittwoch. Also kurze Radtour. Auf Umwegen (Weg gesperrt wegen Schafweidung, Falschrum-Abbiegen, Schilder-Nichtbeachtung) gelangten wir frierend und vorzeitig bereuend, jedoch nach dem „Point-of-no-return“ nach Sluis, von dem wir uns einiges versprochen hatten. Historischer Ortskern, zitadellige Stadtanlage, mächtiges mittelalterliches Rathaus, Markt, Kneipen, Restaurants und Eetcafés und der Anfang des Kanals „Damsche Vaart“ nach Damme und Brugge lockten nicht nur uns, sondern vor allem Massen von Belgiern an, die mit BMW X5, Volvo CX90, Mercedes M-, S- und R-Klasse und Porsche Cayennes bzw. VW Touareg die Parkplätze voll stellten. Ein normales Leben außerhalb der touristischen Puppenstube war nicht erkennbar. Alle Kneipenpreise schienen per Kartell festlegt. Pflichtspeise war überall „Mosselen“. In der normalen Kategorie durchweg knapp unter 12 €, in der gehobenen Kategorie um 16 €. Missmutig und ausgehungert stolperten wir durch Sluis und sahen uns nicht recht zum Zuge kommen. Als bescheuerte Deutsche wollten wir authentisch, äußerst billig und dennoch vorzüglich speisen. Sonnig, mit Blick auf Rathaus, Kathedrale und Wasser mit Schiffen. Wir schwankten zwischen Eetcafé, Brötchen auf die Hand oder trotzig hungern. Letztendlich war uns nichts gut genug und wir landeten draußen bei „het Hart van Sluis“ am Markt. Am Nebentisch ein schmuckbehängter schwuler Belgier mit seiner Oma und zwei Möpsen. Sie sprachen ein unverständliches Geraune und Gemaunze, welches mit dem „algemeen beschaaft Nederlands“ wenig zu tun hatte und wohl Belgisch sein sollte. Betrunken würden sie sich später ans Steuer setzen. Wir wählten ein „bruin Stokbroodje“ mit Käse und Garnitur, die Mutter ein Croque Monsieur, ebenfalls mit Garnitur. Der Croque war der schlechteste aller Zeiten, der Käse eines Käselandes nicht würdig. Wir zahlten die überteuerte Summe + 7% Trinkgeld (offiziell wohl zu wenig, die Reiseführer empfehlen mindestens 10 bis 15 % und meinen in ihrem grenzenlos übertriebenen Wohlwollen unterschwellig eher 40 – 50 %). Unterdessen war die Sonne rausgekommen, aber auch der Wind hatte gedreht, was für jegliche anzutretende Rückwege absolut normal ist. Wir radelten unter diesen Umständen zurück. Statt 15 Km brauchten wir jetzt nur kurze 11. Zu Hause tranken wir auf der Terrasse vor dem Haus einen Kaffee und aßen einige spontan selbst gebackene herrliche Scones. Scones sind der Ersatz für nicht vorhandenen Kuchen. Während wir noch so saßen, ritt eine Frau auf einem kurzbeinig-dickfüßigen Pferd vorbei, beglitten von einem Radfahrer, beide grüßten: „Dag.“ Die Bank vor dem Haus verfügt selbstverständlich über eine eigene Steckdose, so dass wir theoretisch hätten elektrisch grillen können oder wenigstens den Compi aufbauen, wenn dieser im hellen Sonnenlicht was anzeigen würde oder zu später Stunde eine Leselampe aufbauen. Dann fuhr eine 2-Mann-Truppe vor, lud flugs Rasenmäher ab und mähte innerhalb von 5 Minuten die Rasenflächen der kompletten Liegenschaft, ohne vorher zu fragen oder zu grüßen. Nach ein wenig Geruhen beritt die Mutter das Abendessen vor: Indonesisch.

Nach einer längeren Ruhephase wandten wir uns gegen Abend wieder Breskens zu, um die gestern abgebrochene Fototour noch mal zu versuchen. Heute war es windstill und wir benutzten das Stativ. Die Ausbeute macht wohl noch einen dritten Besuch notwendig. Später erfuhren wir, dass das „Museum“ mehr bietet als der fischige Eindruck von außen andeutet. Die gigantische Malerei an der Fassade eines Speichers am gegenüberliegenden Hafenbeckenrand (3 Brote und 2 Fische) stammt wohl von einem anerkannten lokalen Künstler, der im Museum näher gewürdigt wird. Breskens City ist für unseren Geschmack eher zum Wegrennen, Steinhövels sind hingegen des Lobes voll. Hat irgendwie so etwas trostlos-raues Englisches an sich, welches man auch manchmal in Belgien findet, aber halt durchaus auch in niederländischen Industrie-Brachen und Stadtsanierungsgebieten. Typische Merkmale: Wenig Grün, dellige Fahrbahnen mit herausgewühlten Bordsteinen, vereinzelt herumstehenden Absperrgittern, verlassenene Hallen, stillgelegte Kneipen, verrostete Straßenlampen. Als es schon absolut dunkel war, tankten wir noch etwas Coming-home-Atmosphäre am Fußgänger- und Radfahrer-Fähranleger der Fähre nach (bzw. von) Vlissingen, wo sich zwischen Ankommenden und den auf-sie-Wartenden ergreifende Szenen abspielten. Insgesamt war es der Tag des Gegend-Genießens. Das Panorama, der weite Himmel, die Flachheit, die Kanäle und die endlosen Pappelreihen am Horizont. Das sonnige Frühlingswetter und das Grün der Wiesen. Fehlt leider noch das Grün an den Bäumen.

Während wir dies schreiben, hängt vor uns an der Wand das gemalte Porträt von Else Ignatz*. Ernst Hase hat es 1949 gemalt. Ca. 36 x 47 cm, gerahmt in einem Kehlrahmen mit sehr dünner alt-silberner Beschichtung, durch die die Holzmaserung hindurchschimmert.

Ein Möbelstück oder Interieur ist nicht zu erkennen, offensichtlich wurde Else jedoch vor einem diffus-grauen Hintergrund in Sitzhaltung portraitiert. Sie ist auf dem Bild ca. 80 Jahre alt und hat klare Vorstellungen und einen in seinen Dimensionen abgeschlossenen Willensausdruck.

Vielleicht aus eigenem Wunsch, vielleicht aber auch aus Drängen Anderer, hat sie eine schon 1949 altertümlich wirkende Festtagsgarderobe angelegt: Ein hochgeschlossenes, bis zum Hals geknöpftes dunkles Kleid. Um die Schultern ein dünner, transparenter Umhang mit floralem Spitzenbesatz an den Rändern. Diese Auswahl einer „feierlichen“ Kleidung als Konzedenz an die Tragweite der Situation: Portraitiert-Werden für die Nachwelt, für viele Jahrhunderte nach ihr. Aus gleichem Material schaut aus dem geschlossenen Kleid ein kleiner weißer Kragen hervor. Else hat Schmuck angelegt: An einer dünnen Silberkette ein Anhänger mit kranzförmig angeordneten hellen Steinen sowie zwei Ohranhänger mit jeweils zwei untereinander angebrachten silbernen Tropfen, dazwischen ein silberner getriebener Quader mit Ornamenten. Die Portraitierte hat aus der Stirn gekämmtes, silbergraues Haar mit einem eindeutigen Scheitel auf der von ihr aus gesehen rechten Seite. Nach links fällt das Haar in einer eng anliegende Welle über dem linken Ohr nach hinten. Die Ohren sind nicht verdeckt. Wahrscheinlich findet die Frisur ihren Abschluss in einem niemals gelösten Knoten am Hinterkopf.

Der Kopf ist ganz leicht nach rechts geneigt in einer Art gespielter Skepsis, womöglich auf Anraten des Malers. Andererseits auch eine bequeme Haltung, die man eine zeitlang beim Sitzen durchhalten kann. Else lacht nicht, ist nicht bemüht ernsthaft, schaut weder offen noch verschlossen, sondern eher mild-gütig-wissend-tolerant, ohne Verbitterung, Härte oder Anzeichen von Krankheit. Dieser für Blauäugige typische Blick und die ganze Erscheinung und Haltung lassen vermuten, dass sie gutsituiert und von gebildetem Stand war. Sie hatte trotz erlebter Tiefen wohl meisten Glück gehabt und die ganz harten Schicksalsschläge sind ihr erspart geblieben.

Hypothese: Wenn Ernst Hase sie 1949 80-jährig portraitiert hat, ist es durchaus möglich bis wahrscheinlich, dass wir Else nur drei Jahre später, 1952, noch kennenlernen konnten, wohl bei einem Besuch des Liborifestes in Paderborn. Wenn man davon ausgeht, dass sie 1869 das letzte Kind ihrer Eltern und ihr Vater da auch schon nicht mehr ganz jung war, so ist dessen Geburtsjahr wiederum auf etwa 1810 anzuzusetzen. Damit steht fest: Wir kennen eine Frau, deren Vater wahrscheinlich Goethe noch persönlich gekannt haben könnte. Als einer, der 1756 geboren wurde, hat Goethe selbst sicher auch eine ähnliche Generationen-Rückwärtsbetrachtung angestellt und Anknüpfungspunkte an Zeitgenossen gefunden, die rund 250 Jahre zuvor gelebt hatten oder gestorben waren. Damit ist unsere direkte Linie zu Leuten wie Albrecht Dürer, Lucas Cranach und der heiligen Elisabeth nachgewiesen.

*Name vermutet.

Karfreitag, 6. April

Die Gegend ringsum.

Die Hauptaussicht ist nach vorne. Vor dem Haus ist eine mit Holzpanelen ausgebaute Terrasse verlegt, die an die auf einem erhöhten Damm liegende schmale Straße grenzt und in den ums Haus gezogenen Garten integriert ist. In Richtung „Vorne“ hat man den ganzen Tag Sonne – vorausgesetzt, es ist nicht gerade bewölkt. Der Blick reicht bis zu 3 km weit in die Wiesen, Felder und Feuchtgebiete. Am Horizont einzelne Häuser, Baumgruppen und Pappelreihen. Nach hinten schauen wir auf große Felder. Zu den Seiten geht die kleine Straße weiter.

Wir ließen es ruhig angehen. Gegen Mittag fuhren wir nach Cadzand Bad und machten einen 2km Strandspaziergang, zurück oben auf dem geteerten Dünenweg. Unterwegs waren hauptsächlich deutsche Radfahrer. Die verfressenen belgischen Touristen sieht man nicht bei körperlichen Anstrengungen aller Art, sie beschränken sich auf das Nötigste: Aus dem dicken Auto aussteigen und in das Restaurant gehen.

Zu Hause kochte die Mutter einen Fraß aus Nudeln, Fenchel und Möhren, verfeinert mit exotischen Gewürzen. Nach dem Kaffee bezog es sich zusehends. Wir machten alleine eine kleine Radtour nach Oostburg, um den ersten Eindruck zu verfestigen. Das dargebotene Bild war jedoch völlig anders als Mittwoch – kalt, grau, leer, abweisend. Frierend radelten wir gegen den aus allen Richtungen blasenden Wind wieder heim. Zum Abend eine dritte Tour: Mit dem Auto nach Cadzand Bad, wo wir bei einsetzender und fortschreitender Dunkelheit am westlichen Ende den Abschnitt jenseits der Brücke über den Fluss Richtung Het Zwin erkundeten. Diese abendlichen Touren sind doch immer recht kalt und ernüchternd.

Es ist sehr herausfordernd, völlig ohne Fernsehen, ohne Radio, ohne Musik und ohne Tageszeitung auszukommen, nur auf sich selbst gestellt. 

Karsamstag, 7. April

Morgends: Großeinkauf bei Albert Heijn.

Mittags: Radtour über Groede und Nieuwvliet nach Cadzand Bad. Erst nur kalt und windig, dann sonnig, kalt und windig. In Nieuwvliet Kauf von Flappen. Flappenverzehr völlig ausgehungert auf der Düne. Auf der Rückfahrt wurden wir beim Einbiegen in den Henricusdijk nichtsahnend von den just ankommenden Steinhövels beobachtet, die sich eine Stunde später telefonisch meldeten. Später statteten wir dort einen Besuch mit Wohnungsbesichtigung, Smalltalk, Strandgang und kurzem Imbiss bei ihnen ab. Müde aber hungrig kehrten wir heim.

Ostersonntag, 8. April

Sonnig und nicht mehr so kalt. Nach dem Frühstück gemeinsamer Besuch der Ostermesse (1. Höhepunkt) in der Strandkirche von Cadzand Bad. Die Kirche war ein kleiner Raum mit drangebautem Innenhof. Die Flanken des Hofs waren überdacht für den Zweck, dass bei größeren Versammlungen, bei denen der Kirchenraum nicht reichte, die Leute trotzdem nicht im sagen wir mal Regen stehen mussten. Heute war es jedoch sonnig und wer nicht drinnen saß, saß mitten im Innenhof auf selbst herangetragenen Bänken in der Sonne. Es wurden für Touristen vereinfachte Gesangbücher verteilt. Der Pastor hatte keine Messdiener, nur zwei Kollektanten und Co-Kommunionausteiler. Er predigte und „las“ in holländisch mit kurzen deutschen Einschüben. Insgesamt war eine etwas zu bemühte Friedensatmosphäre im Schwange, die sich in ausgiebigen Handreichungen und Händeschütteln äußerte. Trotzdem fast ok. Die spontane pastorale Umfrage ergab, dass die anwesenden Belgier die größte Einzelgruppe darstellte. Nach der Messe kauften wir beim Cadzand „Warme Bakker“ Croissants und ein Paasbrood. Beim ersten Gegenbesuch der Steinhövels „auf Kaffee“ (2. Höhepunkt) wurden diese Waren gereicht, wobei sich das Paasbrood als zu stutig-rosinig erwies. Die Unterhaltung war von allgemeinen Lobreden über die angetroffenen Gegebenheiten geprägt. Die Kinder wurden zum Ostereiersuchen animiert. Nach dem ersten Durchgang animierten die Kinder die Erwachsenen zum Ostereiersuchen. Später wurden die vereinnahmten Ostereier entweder vergessen oder bewusst ignoriert, man wird sehen, was beim zweiten Zustellversuch passiert. Das Mittagessen nahmen wir wieder alleine ein: Rohkost zu Salat verarbeitet, Käseschnitte. Erst gegen drei brachen wir zum 3. Höhepunkt auf: Auto-Anreise nach Sluis (Bär los), Parken außerhalb, Radtour am Kanal „Damsche Vaart“ nach Damme. Extrem kanalige Atmosphäre mit vielen Radfahrern, Kanalkneipen, endlosen Pappelreihen, Kanalkreuzung mit dem Leopoldkanal und an den Schnittpunkten auch viele Autos. Am Ziel „Damme“ kreuzten wir durch den bemerkenswerten Ort mit ehemaliger Klosterkirche (Halbruine), vielen Kneipen und Bücherflohmarkt (uninteressant). Wir kehrten bei „De Damsche Poort“ ein und kauften 1 Stück Appeltaart, Café, Pannekoek Suiker Boter, 1 Grimbergen bruin. Für uns das offizielle Fastenbrechen. Auf dem Rückweg radelten wir noch ein paar hundert Meter weiter Richtung Brugge, um das Restaurant am Kanalufer zu suchen, wo wir im Dezember 1983 rausgeflogen sind, weil wir einen roten Stepp-Anorak trugen, aber von den drei Kneipen war nicht mehr auszumachen, welche es war. Auf dem Rückweg in Sluis sahen wir noch Bisons (bzw. Mufflons, Galloway-Rinder oder Zottelkühe) und Störche beim Stochern im Sumpf. 19.30 war der Zeitpunkt des Aufbruchs zum 4. Höhepunkt: Strandspaziergang in Cadzand Bad. 

Westkapelle

Am westlichsten Zipfel der Halbinsel Walcheren in der Niederländischen Provincie Zeeland gibt es den Ort Westkapelle. Von der belgischen Küste aus betrachtet, liegt er am äußersten linken sichtbaren Zipfel des Panoramas des von dort sichtbaren Teils der Niederlande. Westkapelle ist ein kleiner Badeort im touristischen Schatten des größeren und selbst bei uns bekannten Ortes Domburg bzw. der Zeeländischen Metropole Middelburg. Der Name kommt jedoch nicht von ungefähr.

Zur Zeit des Spätmittelalters, also etwa kurz vor 1500, gründeten brabantische Prämonstratensermönche ein (wiewohl kurze Zeit später wieder aufgegebenes) heute noch nicht einmal mehr archäologisch – sondern nur noch urkundlich – nachweisbares Kloster mit einer etwas abseits errichteten ungewöhnlichen Kapelle, im damals freilich schon lange als veraltet geltenden romanischen Stil, gebaut aus dem hellen Sandstein vom oberen Lauf der Maas. Vergleichbare Objekte sind aus ortüblichen Ziegeln gebaut. Sie diente neben dem Klosterleben zunächst dem Schutzgebet für die Fischer und Seeleute der Gegend. Als die Mönche das Kloster und das Siedlungebiet infolge der Wirren des 2. spanischen Erbfolgekrieges verließen, fand nur die Kapelle Verschonung vor den Verwüstungen der einfallenden Spanier, Burgunder und anderer fremder Heere. Damals wie heute war die Kapelle eine weithin sichtbare Landmarke in den Dünen. Sie war nie eingebunden in die Glaubensgepflogenheiten der örtlichen Pfarrbezirke, sondern wurde fast abergläubisch ausgegrenzt, seit Überlieferungen die Runde machten, dass immer in schweren Sturmnächten, wenn Boote und Schiffe nicht rechtzeitig von der aufgewühlten Nordsee zurückfanden und Männer ertranken, aus der Ferne wie von unsichtbarer Hand gezogen die Glocke der Kapelle zu hören war. Schmuggler und Diebe trafen sich hier zum Austausch ihrer unrechtmäßig angeeigneten Güter, geheime Femegerichte fällten im 17. und 18. Jahrhundert unter der Scheinlegitimität des heiligen Ortes ihre Todesurteile, aber manchmal auch fanden verirrte Seefahrer durch die Silhouette des Kapellenturms an nebligen Tagen die Orientierung zurück. Im zweiten Weltkrieg war der nach der Reformation entweihte, ehemals sakrale Bau mehrfach Treff- und Übergabepunkt für Kriegsgefangene, Spione und Überläufer, wenn beide verfeindeten Lager Vorteile für einen Austausch sahen. Noch heute geht von der „Westkapelle“ ein kalter Hauch des Unheimlichen aus, und wenn man sie unwirklich im Gegenlicht zwischen den Dünen liegen sieht, verspürt man keinerlei Drang, sich dort einmal näher umzusehen. Es führt kurioserweise auch keine Straße hin, nur ein paar Pfade, welche einige Ortkenntnisse verlangen.

Ostermontag, 9. April

Sonnig und nicht besonders warm. Erst abends windstill. Was wir am dringendsten brauchen, ist Regen, Regen, Regen. Mittags beschlossen wir eine Radtour über Retranchement nach Cadzand Bad. Nach 750 Metern brachen wir wegen des kalten Winds wieder ab und machten die Tour mit dem Auto. In Cadzand Bad war höllisch unangenehm viel Larry. Nachmittags ein kurzer Abstecher nach Oostburg. Dort war zum Gähnen nix los. Kann man total vergessen. Abends noch einen kurzen Spaziergang über den heimischen Deich. Ansonsten Lesen, Schlafen, Essen, Schafe kucken und Kaffee trinken.

Dienstag, 10. April

Bei gutem Wetter mit dem Auto nach Sluis, dann mit dem Rad am Kanal Damsche Vaart nach Brugge. Wiedersehen nach vielen Jahren. Der Eindruck von der Stadt hatte sich nach dem ersten Besuch 1983 etwa um 2000 verschlechtert, konnte aber wieder aufholen. Es gibt im Gebiet der von Kanälen umschlossenen Innenstadt einen kleinen, rechteckigen Bezirk, der vom internationalen Tourismus geradezu heimgesucht wird und schwer auszuhalten ist: z.B. großes Aufkommen an Pferdekutschen, die bevorzugt über Kopfsteinpflaster trappeln, um falsches historisches Flair zu erzeugen und zu vermarkten. Man kann dem touristisch-übergeschnappten Brugge jedoch leicht entkommen, und es bleibt trotzdem schön. Unser Rahmenprogramm war der Besuch im Groeninge-Museum, dem Spezialmuseum für die Vlaamse Primitieven. Mittelmäßige Kunst – scheiße präsentiert. Beim Neukonzipieren irgendwann haben sie total daneben gegriffen. Schweinestallartige Kojen mit schwarzem Anstrich, klein-mosaike weiße Bodenfliesen wie im Duschbereich des Hallenbades, liebloses Foyer im historischen Gebäudeteil. Selten klaffte das Qualitätsverhältnis von Kunst und Ambiente weiter auseinander. Weiter zum t’Zand, finden des Chinarestaurants, wo wir Silvester 1983 den leuchtenden Buddha geschenkt bekamen, Kauf von Reisemitbringseln (Trocken-Pesto zum Anrühren), Verzehr von Frietjes mit Piccalilly-Saus. Damit hätten wir pflichtgemäß einen weiteren Mythos begraben, denn die legendäre Piccalilly-Saus schmeckte nur künstlich-übersäuert scheußlich. Ein Straßencafe Ecke XXX hatte es uns angetan. Was die dort Sitzenden auf den Tellern hatten, ließ uns das Wasser im Munde zusammen laufen: Salat mit Krabben, Croque Monsieur, Halbe Hähnchen, Stokbrood gezond. Wir Asketen tranken nur einen schlichten Kaffee und radelten wieder nach Sluis zurück.

Mittwoch, 11. April

Mit Steinhövels mi’m Rad nach Damme, ab 18.00 Uhr noch mi’m Auto nach Zeebrugge, Blankenberge, De Haan, Lissewege

Zum dritten mal am Kanal Damsche Vaart entlang bis nach Damme. Jetzt kennen wir jeden Meter, und der Bedarf nach Kanal-Radtouren ist erst mal gesättigt. An der handbetriebenen Fähre lasen wir den Hinweis: Dies ist kein Spielzeug. Die Kinder machten sich daher einen Spaß daraus, die Fähre mehrere Male hin und her zu bewegen. In Damme langes Rumklüngeln in Buchgeschäften und zum Abschluss Einkehr im Gartencafé www.tante-marie.be, wo wir ein wirklich gutes Eis bekamen. Bestellt waren nur drei Kugeln mit Sahne, aber die Lieferung war noch ergänzt mit den Zutaten Zabaione, Erdbär- und Sternfrucht. Angerichtet auf einem großen Teller mit einem großen Löffel, also nicht wie in der Eisdiele, sondern wir der Nachtisch im Restaurant. Fressen in Belgien ist wirklich ein Erlebnis.

Bei Rückkehr in Sluis reichte es uns noch nicht und wir beschlossen spontan, uns mit dem Auto in der Zeitspanne von 18.30 bis 20.30 die Orte Knokke, Blankenberge, Zeebrugge und De Haan anzukucken. In Knokke für 3 Minuten auf die Promenade gekuckt. In Zeebrugge am Hafen ein Bild gemacht. Vor Blankenberge in den Dünen gestanden. In De Haan Spaziergang über die Promenade und Auto-Exploration durch das Villenviertel. War beeindruckend, aber Urlaub dort – nein danke. Die lt. Reiseführer nicht vorhanden Hochhäuser an der Seeseite ergaben sich aus der Formel, dass Hochhäuser wohl erst ab 10 Stock zählen und die De-Haanschen nur 5-6 Stock hatten – also keine Hochhäuser waren. Wir gerieten in einen Polizeieinsatz. Mit großer Show wurde die Strecke für einen Krankenwagen frei geschaufelt. Unser letztes Tagesziel hieß Lissewege, am Kanal von Brugge nach Zeebrugge gelegen. Kurzer Besuch der wuchtigen Backsteinkirche. Was noch mehr zählte, war die Landschaft ringsum. Ein altes Dorf, ein breiter Kanal, eine Eisenbahnbrücke, der Blick übers Wasser in beide Richtungen, ein altes Transformatorenhäuschen, das alles passte so gut zusammen, wie wir es schon lange nicht mehr erlebt hatten. Diese Bilder bleiben uns lange in Erinnerung. 

Donnerstag, 12. April

Ab 11.15 mit Steinhövels nach Brugge. Wir fuhren hinternander her über Rentranchement an der netten Kneipe „De Parlevinker“ vorbei. Der direkte Weg nach Sint Anna Ter Muiden war wegen einer Baustelle an der Kreuzung gesperrt, und wir mussten einen großen Umweg über Sluis City fahren. Der Eindruck hinter der Grenze in Belgien ist trotz der gleichartigen geografischen Grundgegebenheiten (flaches Land, Wiesen, Felder, Kanäle und Gräben, intensive Landwirtschaft, verstreut liegende Bauernhöfe) doch einiges anders. In Belgien ist alles etwas weniger systematisch und strubbeliger angelegt. Die Architektur wirkt einen Schlag mehr anglo/amerikano als in Holland. Viele Häuser und Reihenhäuser weisen die horizontal orientierten Gliederungselemente der 1920er/30er-Jahre auf. Die Straßen sind großzügiger, breiter, mit weniger Gängelungs-Mechanismen wie Einengungen, künstlichen Mittelinseln und Drempels. Zwar geht der Blick nicht so endlos weit, dafür ist am Wegesrand mehr Abwechslung. Wir parkten 500m stadteinwärts am Kanal gegenüber dem Kloster/Kirche/Museumskomplex „O.L.V. ter Potterie“ (Langerei) und wanderten langsam in Richtung Stadtmitte. Der Hinweg war beseelt von dem Wunsch, eine Apotheke zu finden, als die erstbeste Apotheke zu hatte, verflüchtigte sich die Absicht wieder. Wir trennten uns: Die einen gingen ins Groeninge-Museum, andere langweilten sich vor der Tür, wir selbst versuchten per Alleingang, das Hotel zur Post (Wohnort von Dezember 1983) zu finden. Trotz Nachfrage in zwei Häusern kein Erfolg. Alsdannsobald gingen die Mutter, die Zwillinge und wir ins Museum „Sint-Jan-Hospitaal“ und waren beeindruckt vom irgendwann seit unserem letzten Besuch (1983) durchgeführten und wirklich geglückten Relaunch. Einige der Hans-Memling-Bilder waren nicht in die derzeitige Ausstellung „Vlaamse Primitieven“, Anwerpen, 3 Maart – 27 Mei 2007) gewandert, sondern vor Ort verblieben. Das Museumsklo war zwar im Prinzip blitzsauber, stank aber dennoch nach Pisse. Im Preis von 8,00 € war ein Audio Guide inbegriffen. Kinder umsonst, so dass wir auf einen Durchschnittspreis von anständigen 4,00 € kamen. Um 15.15 trafen wir die anderen und gingen im Hinterhof der OLV-Kathedrale (die mit dem 130-Meter-Turm) einen Kaffee trinken mit Pannekoek. Nicht gut, aber familienfreundlich und billig. Dann folgte ein endloser Besuch im Inneren der Kathedrale. Steinhövels kuckten sich nicht gemeinsam, sondern nacheinander mit nicht endender Ausdauer eine im abgeteilten Bereich stattfindende Ausstellung „De Schoonheid en de Waanzin“ an, während wir uns auf das Fotografieren der Massen von Digitalknipsern beschränkten. Es gibt wohl niemanden mehr, der noch mit analogen Kameras fotografiert. Als wir es drinnen nicht mehr aushielten, bestaunten wir draußen die Gruppen von Tommies, Spaniern und vor allem Japanern und fragten uns, was sie wohl von Europa, Belgien und Brugge an echten, tiefen Eindrücken mitbekommen würden. Vermutlich bedauern sie zutiefst, dass es morgens keinen Quallenpudding zum Frühstück gibt. Als wir alle wieder beisammen waren, zogen wir langsam und weit auseinander gezogen zurück zum Auto. Die einen hielten sich stundenlang in Papier- und Bastelgeschäften auf, die anderen wurden zuletzt doch noch in einem Andenkenladen hinsichtlich der „De Koninck Bolleke 0,25 L-Gläser“ fündig. Ein gemeinsamer Restaurant- bzw. Imbissstube-mit-Sitzgelegenheit-Besuch kam nicht mehr zustande. Am Kanal Damsche Vaart entlang ging es heim.

Freitag, 13. April

Letzter Tag für letzte Dinge. Als da wären: Einkaufen bei Albert Heijn: Calvé Pindakaas, Rinse Appelstroop, Beschuitjes, Douwe Egberts gewone Maling Koffie, Côte d’Or Schokolade.

Radtour nach Breskens, um Breskens mal bei Tageslicht sehen und beurteilen zu können. Es sah am Tag noch unprätentiöser aus als bei Nacht. Es blieb quasi nichts übrig. Auf der Hinfahrt wurden wir andauernd von falschen, völlig untertriebenen Entfernungsangaben verarscht. Es war nicht zu kalt, aber diesig, und vom Schiffsbetrieb auf der Westerschelde nicht viel zu sehen. Der alte Fähranleger für die stillgelegte Autofähre nach Vlissingen war noch vorhanden, man traut sich wohl noch nicht, ihn völlig abzureißen. Höhepunkt war ein Besuch im relativ neuen, großzügig und elegant ausgebauten Fischcafé „de Duckdalf“ wo wir eine Cola, Fish-Nuggets, einen Brathering und Frietjes kauften, vielleicht auch Kibbeling. War wie Urlaub. Auf der Deich/Dünenstrecke ging es zurück, und zwar bis nach Cadzand Bad. Da der Wind unterwegs zunahm und kühl wurde, kein Strandbesuch mit Muscheln-Sammeln, wie zunächst geplant, sondern kurzer Stopover bei Steinhövels in der Erasmusstraat 5. Kaffee, Gedankenaustausch und weiter. Beim warmen Bakker hatten sie noch zwei Flappen für uns: eine Kersflappe und eine Appelflappe (leider mit Zimt und Rosinen). Dieses Gebäck gab es bei einer weiteren Kaffeepause daheim auf der Terrasse. Sodann letzte Tour mit dem Auto ans Meer, um nun endlich die Muscheln zu sammeln. Abends Reste essen (Spaghetti, Tomatensoße, Salat, Heineken). 

Recherche-Aufgaben:

Was hat es auf sich mit Jobst-Hans Muths, der 1950 in Münster im Haus Schucan am Prinzipalmarkt die Ausstellung organisierte: „Die wachsende Wohnung“.

Wo lag in Brugge das Hotel zur Post?

Samstag, 14. April

Herzklopfender Schlüssel-Abgabe-Besuch bei Frau Tims. Wir kommen halbwegs heile wieder raus. Auf zu Steinhövels nach Cadzand. Man ist noch nicht reisefertig und schickt uns mit den Kindern zu Fuß an den Strand. Wir stehen 15 Minuten in der aufkommenden Flut.

Die Rückfahrt führt uns noch einmal nach Sint Anna Ter Muiden, wo wir ein letztes Foto schießen. Leider haben wir es den ganzen Urlaub versäumt, in Retranchement auf der Grenze zu Belgien am Kanal bei unserer Lieblingsfrituure einzukehren. Hinter Antwerpen bogen wir rechts ab über Hasselt, an Maastricht vorbei nach Aachen, wo es im Soermond-Ludwig-Museum eine Ausstellung überWillem Kalf zu sehen gab. Aber das ist ein anderes Thema.